Der Tag beginnt harmlos. Abgesehen davon, dass der Automat der Banque
BICIAP die Postkarte von Martin Bölsterli, seines Zeichens unser geschätzter Bühnenbildner, frisst. Rübis und stübis. Und der gefrässige Apparat denkt nicht daran die Karte wieder auszuspucken. Doch wir müssen weiter, schliesslich findet heute unser erster Durchgang statt. Als Abschluss der Probearbeiten im Gambidi spielen wir alle Szenen durch. Un filage, wie das hier heisst. Ohne Unterbrechung, ohne Einwürfe, lassen wir die Schauspieler los. Alle sind neugierig ob
"SEVRAGE" als Stück funktioniert, ob die einzelnen Szenen Sinn ergeben, das Stück den komödiantischen Anforderungen entspricht, les personnages stimmen, brèv ob wir auf dem richtigen Weg sind. Punkt 11 Uhr soll es losgehen. Soll's, aber es kommt sowieso so wie es kommt. Also alles ein tout petite später. Wir lassen die gelbe Karte in der Bank mit dem grünen Logo zurück und blicken vorwärts. Kaum im Gambidi angekommen nimmt Monsieur Harmattan seine Arbeit auf. Er bläst einmal de plus aus vollen Backen ohne Unterlass. Poussière partout. Über alles und alles legt er seinen dunkelroten Staub. Mit jeder Minute, jeder Stunde deckt er die Stadt zu. Er besetzt Schleimhäute, Ohrmuscheln, Haare. Staub zu Staub, aber - noch keine Asche. Hopp, hopp, hopp sofort alle Türen schliessen, Fenster zu und hoffen, dass er heute nur halbtags arbeitet, der grosse Wind. Denn die Schweizer haben kurz vor dem Aufbruch sämtliche Fenster im Haus geöffnet, damit die Luft - oder eben Madame la poussière, besser zirkulieren kann ... Doch jetzt ist eine Zeit für Sandspiele.
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Harmattan |
Bitte das Décor für die erste Szene bereit stellen, die Kostüme und die zur Verfügung stehenden Accessoir zusammentragen. Und ja die Musiker sollen auch ihre Hemden anziehen. Und nein Kadi kann ihr Cocktailkleid nicht tragen, es passt überhaupt nicht zu ihrer Personage. Ist jetzt eine Friedensfahne da? Klar kann Ibrah als General eine Schürze anziehen, auch wenn diese aktuell eher wie ein Fundstück einer Müllhalde daherkommt. Alles ist work in progress, ist Improvisation mit dem was wir haben. Ausser dem STück natürlich. Alles wuselt, sucht, fragt, übernimmt, hinterfragt, sucht nochmals, verwirft, probiert, nimmt Platz und am Schluss ist es 11 Uhr und 40 Minuten und unsere erster Durchlauf beginnt. Das Publikum ist klein an der Zahl, exakt vier Personen. Vom Vizepräsidenten des C.I.T.O, einem ehemaligen Militär, erwarten wir ein Feedback zu unseren Szene mit dem militärischen Personal. Darf man zeigen und thematisieren, dass der General schwul sein könnte, oder ist das schon zu viel des Guten? Denn wie in den meisten afrikanischen Staaten ist
Homosexualität auch in BF verboten (unbedingt Artikel lesen "Jeune Afrique"). Wird aber - ohne Anzeige - nicht verfolgt. Und wie steht es um all die Szenen, in denen die Soldaten mit ihren erigierten Schwänzen, stark überzeichnet mais quand même, über die Bühne stolpern? On verra.
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Holzschnäbi - Requisitenvorschlag |
- Szene: An der Front.
- Szene: L'hôpital militaire de TAAMS-TINGA. Die Krankenschwestern verweigern den Dienst, sie wollen an der Frauensitzung teilnehmen.
- Szene: Frauenhaus - Lysa hat die Frauen versammelt und ruft den Sexstreik aus, bis der Krieg beendet ist.
- Szene: Trois refus.
- Szene: Wieder an der Front. Der Sexstreik zeigt erste Wirkung, die Männer sind spitz und ihre ergierten Holzschnäbis ragen in die Höh. Eine Ausnahme bildet Razonde, der schwule Soldat.
- Szene: Die Frauen haben das Waffenlager besetzt und erhalten weltweite Unterstützung. Auch les jolies filles (die Prostituierten) zeigen sich solidarisch.
- Szene: Tene wird als Lockvogel eingesetzt. Sie soll ausspionieren, ob die Generäle bald Frieden schliessen ...
- Szene: Wieder an der Front. Es wird schlimmer und schlimmer ... Die Soldaten haben langsam die Schnauze - nein - die Hosen voll.
- Szene: Pour la patrie - kann man - zur Entlastung der übervollen Leitungen - versuchen von Mann zu Mann, eh bien . alors pour la patrie ... caresser un peu.
- Szene: Alles spitzt sich zu. Batogoma, die Vertreterin der Prostituierten wurde beinahe vergewaltigt. Die Frauen sind entsetzt und wollen nicht mehr streiken. Lysa hält eine weitere überzeugende Rede.
- Szene: Der Streik dauert und zeigt endlich Wirkung. Selbst die Generäle müssen nun Zuhause Hand anlegen. Alle Frauen sind im Streik. Die Soldaten müssen zusätzlich zur Kriegsführung die Kinder versorgen, Wäsche wasche, kochen, aufwischen et tututu. Und noch immer keine Entspannung in Sicht. Und niemand sagt: Merci chèrie, merci mon carottes! Die Soldaten und die Generäle wollen nicht mehr länger Haushalten (gratis) und Krieg führen (sinnlos). Das gilt auch für alle Militärs von Bambili, die Gegener. Gemeinsam beschliessen sie den Frieden und legen die Waffen vor der Poudrière nieder. Lysa und ihre Gefährtinnen nehmen das Angebot an. Das Fest kann beginnen.
Nach fast zwei Stunden ist "
SEVRAGE" abgespielt. Mit Publikum - und wenn es noch so mager ist - werden die meisten unserer Truppe zu Rampensäuen. Das heisst sie geben alles und noch ein bisschen mehr. Das ist in unserem Fall gut zu gebrauchen. Wir arbeiten ja mit Klischees und Überzeichnung. Auch die Musiker scheinen ein bisschen wacher als auch schon. Unser Publikum zeigt sich begeistert et Phillipe, der Ex-Militär vergibt das Label: Alles-ist-machbar-so. Alles ist eben etwas toleranter in BF, denn in anderen westafrikanischen Staaten. Ein grosse Glück für uns und eines für die Einheimischen, allen Nöten zum Trotz. Was wollen wir mehr? Für den Moment, endlich ein
Brakina. Wohlverdient und schnell getrunken.
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