Dienstag, 22. Januar 2013

Pdp – Pas de problème, alles läuft rund, fast



Montagmorgen à Gounghin, so heisst das Quartier mit meiner Herberge. Ein erster Rundgang auf dem lokalen Markt, auf Tuchfühlung avec ma „vie africaine“, zwischen Anführungszeichen. Zu Fuss, denn noch habe ich mich nicht für ein Fortbewegungsmittel entschieden. En general bin ich mit dem Velo unterwegs. An zweiter Stelle stehen diese chinesischen 125er Pseudovespas, an dritter das voiture, aber das muss organisiert, mit Chauffeur versteht sich,  und teuer bezahlt werden. Oder ich miete mir eine Töffli ... on vera.

Bereits nach 50 Metern wird mir bewusst, dass ich noch immer mit meiner zürcherische Fussgänger Attitude unterwegs bin. Will sagen, zu schnell, zu wenig wiegend, zu wenig offen. Alors Rückschritt für Fortschritt.  Ich passiere rechterhand die grosse Moschee, vor deren Toren immer eine beachtliche Anzahl Männer bettelt. Linkerhand steht der Töggelikasten, noch verweist, aber er wird seine Spieler bald finden. Dann vorbei an Bretterbuden, Bretterverschlägen, kleinen Restos, Frauen, die bereits ihre fliegenden Küchen installiert haben, Natelverkäufern, Kalabassen, Zierrat und viel Unrat, Gockeln, Hennen, Küken. Dann die Früchte-, Tomaten-, Gemüseauslagen, dann Erdnüsse, gesalzen, süss, mit und ohne Röstung. Kochbananen, Essbananen, Minizitronen, Maniok, Fisch, Frischfleisch mit Fliegen und so weiter und so fort. Doch ich peile den Marina Market an, eine lokale Einkaufskette. Denn ich brauche subito Milchprodukte mit garantierter Kühlkette. Néscafé mit Milchpulver ist einfach nicht wirklich mein Ding.

Der Kaffe aus dem Nestchen, die Milch aus dem Nestchen, das Leben aus denm Nestchen, ...

Und da ich von meiner letzten Ouagareise doch Millionen von Einzellern – illegal ich weiss – so genannte Lamblien eingeführt habe, bin ich jetzt grad aktuell auf der  vorsichtigen Seite um mein Verdauungssystem nicht schon in den ersten 48 Stunden zu stressen. Es kommt dann so wieso so wie es kommt, oder.

Punkt 10 steht dann Warren auf der Matte. Heute wird gearbeitet, heute werden wir gemeinsam die Schulklasse besuchen, über und mit der ich eine Fotoreportage erstellen möchte. Warren, Fotografie-Urgestein aus Ouaga wird das ganze auf einen Chip bannen. Warren hat bereits vorrecherchiert. On verra.
Die Reportage soll Teil des Festivals „Pas de problème“, dass wir rund um „L’Héritage“, unser Familien-Theaterstück, gespielt in der Trinkhalle der Wirtschaft Ziegelhütte in Zürich-Schwamendingen, sein. Das Ziel der Reportage ist, eine Diashow für Oberstufenschüler aus Schwamendingen zu erstellen. Eine Art afrikanischer Schulspiegel. „Bestellt“ habe ich eine Schulklasse in einem Aussenquartier, einem Ort der wenig Begüterten und das heisst viel und bedeutet sehr wenig in Ouaga. Und öffentlich soll sie sein, keine Privatschule.

Wir cruisen eine halbe Stunde durch Ouaga. Ich stelle fest, dass viel mehr Verkehrspolizei positioniert ist, als das letzte Mal. An praktisch jeder Kreuzung mindestens zwei Uniformierte. Es scheint, dass die Stadtregierung die Verkehrsregeln, die ohne Zweifel existieren, aber bis jetzt ein eher marginales, bis zur grossen Nichtbeachtung, Dasein führen, durchsetzen wollen ... On verra.

Abends werden mir Augusta, Schauspielerin voller Gnaden und Achille, Schauspieler voller Feuer, erzählen, dass sie beide von der Verkehrspolizei angehalten wurden. Augusta musste ein Busse, bezahlen, weil sie ihre Karre nicht vorgeführt hatte, Achille überfuhr ein Rotlicht. Beide müssen umgerechnet 6000 CFA-Franc zahlen. 100 SFR sind 53'000 CFA. Voilà. Der Staat braucht Geld.

Pausenplatz

Der erste Eindruck ist ein Abdruck. Der Innenhof der Schule ist grossflächig, vier Fussballfelder, geschätzt, drei Bäume geschätzt und rund herum stehen die Schulzimmer. Die Sonne brennt und trotzdem geht ein kalter Wind. Ein jährliches Wetterparadox, das viele krank macht. Einerseits Temperaturen bis über 35 Grad und andererseits eine Art Bise, die in die Knochen fährt, dazu Wüstenstaub, auch wüsten Staub. Das ist Monsieur Harmattan in Januar.

Halimata, 14-jährig, muss noch ein Jahr in dieser Schule bleiben, da ihre Eltern das Geld für den Übertritt in die Oberstufe nicht bezahlen können. 

Ich lerne Halimata, 14 Jahre jung kennen. Sie wird das Mädchen sein, das Warren, der Fotograf für das Schulportrait ausgewählt hat. Wir begrüssen uns kurz, sie spricht leise, senkt den Blick, ist sehr scheu. So ein weisse Tante  aus der Schweiz ..., die Fragen stellt ... Sie hat keine Ahnung wo das ist, Schweiz, Europa? Und natürlich habe ich mal wieder keine Karte dabei. Asche auf mein Haupt, tammi nomal, immer wieder vergesse ich das Einfachste.
Ich habe einzig 30 Bleistifte dabei, aber die Klasse hat über 46 Kinder ... Da stehe ich und fühle mich schäbig.

Abwesenheitsassistenz
Am Freitag, werden Warren und ich Halimata zu Hause abholen und in die Schule begleiten. Im Gepäck einen Ball mit  Miniglobus-Sujet. So kann ich ihr wenigstens zeigen, wo die Schweiz auf dem Globus zu finden ist und was für eine Miniature, dies Land ist.

Kurz spreche ich auch noch mit drei Lehrkräften, zwei Lehrerinnen und dem Lehrer von Halimata. Alle unterrichten über 40 Kinder pro Klasse und unterrichten toutoutout. Mathe, Schreiben, Franz, Singen, Turnen, Geo und was man alles so lernt, für das Leben, eben ... Die Kinder pro Klasse sind zwischen 9 und 15 Jahre jung.

Das erste Beschnuppern ist vorbei, als am Himmel über der Schule ein dicker, fetter Flieger über den Schulhof hinwegdonnert. Ohne Signale, ganz in militärischem Grau. Die Richtung ist bestimmt, vers Mali. Der Krieg ist nah, der Krieg ist da.

Abends tschutten die Hengste aus Burkina gegen Nigeria und gewinnen 1:1. So jedenfalls wird das hier interpretiert. Battu Nigeria, bravo! Ach ja, es spielt die afrikanische Meisterschaft.






Sonntag, 20. Januar 2013

Hund ist mehr Schwein wie Rind - L'afrique hat mich wieder


Das neue Jahr hat begonnen. Mit was für einer Musik. Der Kontostand ist im Sinkflug, aber trotzdem (noch) ausgeglichen, die erste grosse Melancholie liegt bereits hinter mir und seit einigen Stunden bin ich in Ouagadougou.

Die Reise begann um 7 Uhr in der Früh Zürcher Ortszeit im Schneegestöber und endete mit einer sanften Landung pünktlich um 16.50 Ortszeit Ouaga.

Zürich Abgang 7.30 Uhr, Jänner 19.

Dazwischen lagen einige interessante Gespräche, von der Art wie man sie früher, als im Zug noch miteinander gesprochen und nicht autistisiert wurde, erleben konnte. 

Von Zürich nach Brüssel nahm ein flotter Geschäftsmann neben mir Platz, der, so schien es mir jedenfalls einer der Weitgereisten ist. Nicht ein Hauch von Reisenervosität, sondern diese Art Reisemenschen, die sich im Flugzeug so verhalten, als wären sei bei sich in der Gartenlaube, angenehme 25 Grad im Schatten und ein Glas Sancerre. Très distingé!
Genau das Richtige für mich, die ich doch noch immer mit einer gewissen Unruhe im Herzen auf jede Flugreise gehe. Ich bin ja noch immer eine Kurzgereiste. Der Flattersatz und das kurzzeitige Herzrasen sind passé, aber eine mir nicht unangenehme Fiebrigkeit ergreift mich noch immer. Und wenn ich dann alleine reise, ist so ein männlicher Tranquilizer herzlich willkommen. Da werden irgendwelche DerMannbeschütztmich-Chips aktiviert. Und in der Tat, der Mann ist irgendein ranghohes Tier bei IBM in unserem zürcherischen Altstetten. Verantwortlich für was weiss ich denn von IBM und lebt in Belgien, genauer Antwerpen. In der Regel fliegt er am Montagmorgen in Kloten und am Freitag wieder in Brüssel ein. Und das seit sechs Jahren. Davor war er weltweit tätig, jetzt ist er, so seine Worte, quasi sesshaft, obschon er immer wieder auch ins Ausland fliegt. Et voilà. In Zürich bewohnt er kein Appartement oder so was in dem Stile, sondern er logiert im Hotel; weil billiger als eine Wohnung mieten! Et voilà. Und ausserdem ist alles aufgeräumt und immer picobello. Er ist verheiratet, die Frau arbeitet auch und er hat drei erwachsene Kinder, die alle studieren. Und nur eine Tochter raucht ab und zu. Eine Sozialraucherin, wie er präzisierte. In Zürich findet er den öffentlichen Verkehr absolut den Hammer und erst kürzlich hat er das Viadukt entdeckt und ist ganz begeistert. Kurz streiften wir noch Lance, das grosse Lügenpedal und waren uns einig, dass der Mann eine Plage für die Welt ist. Nicht nur für die Pedalöre. Der nette Geschäftsmann hievte dann auch noch meinen schweren Rucksack hin und her. Im Gegenzug weiss Monsieur le Belge nun, warum ich hier bin – vielleicht weiss er gar mehr wie ich – was ich vorhabe, so in etwa, und was ich so treibe in der Schweiz. Aids-Hilfe und so.
Und dann war der Flug auch schon zu Ende und der Brüsseler Flughafen nahm mich in Empfang. Kein Vergleich zu diesem Monster CHdG in Paris. Alles übersichtlich, alles sur place.

Und nach einer längeren Enteisungsaktion – ja es war auch in Brüssel kalt, wenn auch nicht so kalt – starteten wie Richtung Ouaga. Diesmal hatte ich eine Frau, encore une Belge, neben mir. Etwas bieder, wie mir auf den ersten Blick erschien, kleider- und brillenmässig gesprochen, aber ebenfalls sehr nett. Auch sie verstaute meinen schweren Rucksack, auch sie schien mir weitgereist. Trotzdem stellte sich der DieFraubeschütztmich-Modus nicht ein. Gender bleibt Gender ... Na ja, das vertiefen wir jetzt nicht.
Die Frau, mit Vornahmen Nadja, sie nannte ihn mir nach dem ersten Gin-Tonic, flog noch Lomé mit Zwischenlandung Ouaga. Sie arbeite gemeinsam mit Bauern in einem Dorf Nahe der Grenze zu Burkina. Eines der vielen humanitären Projekte in Westafrika. Dazwischen fliegt sie immer wieder mal zu ihren Eltern in Brüssel. Und sie hat einen alten Range Rover gekauft und nach langem Zögern hat sie sich nun auch ans Autofahren gewagt. Das findet sie jetzt absolute Klasse, und als sie mir das erzählte, strahlte sie wie eine reife Mango. Sehr schön. Ihr Freund, ein Einheimischer möchte auch gerne mit dem RR fahren, hat aber noch kein Permis. Das ist ihr dann doch zu riskant, man weiss ja nie ... Während dem Mittagessen, sie trank jetzt Weisswein und nachdem ich sie gefragt hatte, ob sie auch gerne scharf esse, erzählte sie mir, dass sie alles, wirklich alles esse, was die Locals auch essen. Ausser scharf da sei sie heikel. Aber sonst alles. Das heisst auch Hunde. Sie kaufe auch Hunde, töte sie und esse sie. Und sie schmecken eher wie Schweine, denn wie Rinder. Und überhaupt gefällt es ihr sehr gut in Togo und ein bisschen spricht sie auch eine der Landessprachen. Et voilà.

Zwischendurch schenkte ich mir eine halbe Stunde Air-TV. Avatar stand auf dem Programm und da ich diesen Film noch nicht gesehen hatte, nahm ich die Occasion wahr. Nach einer halben Stunde gab ich, in einer unendlichen Langeweile von Blaupause, auf. Was für ein Scheissfilm. Die Story wird auch mit 3D nicht besser.

Sahara, janvier 2013

Und dann war da ja noch die Wüste. Ich hatte das erste Mal in meinen Flugleben einen Fensterplatz, denn ich auch nutzte. Bis jetzt hatte ich immer zu viel Respekt (man kann dem auch Angst sagen) vor den Blicken in die Tiefe. Oder war es eher die Weite? Und verzichtete in der Folge immer auf meinen Ausguck. Aber diesmal nicht.
Und was ich sah, war 10000000000 Mal besser als alle Avatars zusammen. Europa lag unter einer dicken Wolkenschicht. Nordafrika teilweise auch und ab Südmarokko lichtete sich die Atmosphäre.

Niger
Die Sahara. La grande. Wellenförmige Sandmuster von Wind und Wetter, durchzogen von haarfeinen Rissen, Verwerfungen und Erhebungen. Ockergelb, sandbeige, silberbeige, braunbeige, graubraun. Menschenleer ohne Stillstand.
Dann wieder wie fallengelassene Tücher. Leinene, seidene, wollene. Eines und noch eines und noch eines. Ineinander und aufeinander und miteinander. Muster und Formen, abstrakte, nie zuvor gesehene, Farbspiele eines Kindes. Jede Wolke als Schattenspiegel zurückgeworfen.
Fliegen, fliegen, überfliegen.
Winzige Dörfer, Kreise, Quadrate, Vierecke.
Dann der mäandernde Niger. Blaugraues Band durchzieht silberbeige. Keine Spur von grün.   
Dann Bäume, mehr Dörfer, mehr von allem, aber noch immer spärlich. In der Wüste wird gespart. Claro que si.

Sahara

Und irgendwann die Frage noch den Jihadisten. Wo sind die da unten? Denn jetzt überfliegen wir die Region um Tombouctou, so zeigt es zumindest die Flugkarte an. Und was ist eigentlich, wenn jetzt so ein Franzosenflieger daher geflogen käme? Ja was wäre denn? Wären wir in unserer Luftmaschine auf 11000 MüM höher oder tiefer? Hé da unten herrscht Krieg und wir fliegen darüber hinweg.

Ich merke ich habe viele Fragen, keine Antworten und Nadja schläft.

Ich schaue in die Tiefe, in die Weite, staune.

Pünktlich landen wir in Ouaga. Es ist heiss, ich bin da, ich bin angekommen.