Montag, 8. Oktober 2012

Das Wort zum Sonntag, am Montag


Der Schweizer Apfel

Sonntagmorgen, sieben Uhr. Langsam schraubt sich die Sonne in den Himmel. Das milchige Licht zeichnet die ersten Schatten auf die staubigen Strassen. Die Regenzeit scheint passé zu sein. Die Stadt nimmt langsam Anlauf. Die ersten Läden öffnen die Türen und warten auf den ersten Kunden, der Glück und noch mehr Kunden bringen soll. Die fliegenden Händlerinnen und Händler wischen sich ein Plätzchen sauber und installieren sich. Grillierte Kochbananen werden gewendet, Pfannkuchen in süttig heisses Palmöl getaucht, Baguettes mit Rührei, und falls erwünscht mit allen unmögliche Inn-, und Aussereien, gefüllt. Konfitüre geht auch. Eine Hündin bellt erfolglos gegen Steine schmeissende Jungs an. Mère Poule führt zwei Poussin spazieren. Eine Ziege entsorgt Plastikmüll. Noch ist der Verkehr handzahm.

dimanchetrankil
----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Der Monsieur spendiert ihnen ein Bier. Oh, merci!
Der Monsieur heisst Fidel und hat eine Geschäftsbesprechung im Garten der Résidance Galiam, wo ich logiere. Praktisch jeden Tag kommt er ins Hotel, wie etliche andere auch, um seine Mails zu checken. Die Résidance bietet freien Internetzugang.  Da ich nicht eruieren kann, wer denn nun Hotelgast und wer den nun Besucher ist, grüsse ich immer alle. Das fand Fidel nett und darum spendierte er mir ein Bier. Zwei, drei Sätze wurden ausgetauscht, aha Theater, aha Tourismusbranche, aha aus der Schweiz, aha Burkinabé, aha, aha, aha.

Drei Tage später die zweite Einladung zu einem weiteren Bier und einem kleinen Schwätzchen. 17h d’accord? Blödnaiv, naivbblöd? sage ich zu. Ich werde um diese Zeit ja eh in der Résidance bloggen. Alors de quoi? Ein Bier trinken und ein bisschen quatschen. Schadet auch den Französischkenntnissen nicht, en plus. Punkt 17 Uhr steht er auf der Matte. Non, wir werden doch nicht hier ein Bier trinken, wir gehen en ville. Aha. Soll ich? Soll ich nicht? Meine Antennen übertragen mir eine Sicherheitstüre einzubauen. Ich sage zu, aber unter der Bedingung, dass ich um 19 Uhr wieder im Hotel sein muss, von wegen abgemacht und so. Aha.

On y va. Ich nehme zur Kenntnis, dass Fidel einen praktisch intakten Mercedes(logo Occassion) sein eigen nennt. Aha. Wir fahren nicht weit und treffen in einem der vielen Strassenrestos von Ouaga, auf seine Freunde. Begrüssung und viel Blabla und bald fühle ich mich wie vorgeführtes Simmentaler Braunvieh. Die Männer scherzen viel, mal auf Französisch, mal auf Mooré.  So weit ich der Konversation folgen kann, sind die meisten Witze religiös konnotiert. Man erklärt mir, das sei die Plaisanterie, jene scherzhafte Form, die hilft soziale Spannungen zwischen den Ethnien abzubauen. Banalisiert gesagt, wie wenn sich Basler und Zürcherinnen verbal anficken und scherzen, um sich nicht zu prügeln. Dazwischen das übliche, die Schweiz als weltweiter Geldhort und Geldwaschanlage. Aha.

Ich simuliere einen Telefonanruf und gebe vor, ich müsse nun direkt ins Hotel zurück.
Später erzähle ich diese kleine Episode einem Freund. Er erklärt mir, dass die Einladung auf ein Bier, die Einladung zu einem Beischlaf sein. Manchmal brauche es auch zwei Bier. Claro que si, oder? Aha. Künftig zahle ich mein Bier selber.

----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Schauspielerin O. möchte unbedingt in der nächsten Produktion von Monsieur X. dabei sein. Was soll sie tun? Schauspielerin A. rät ihr, den besagten Herrn im Hotel aufzusuchen und ihm persönlich das Anliegen vorzutragen. Und wenn er mit mir schlafen will? fragt O. Dann hörst du auf dein Herz und entscheidest dich, rät A. Wie die Geschichte ausgegangen ist? So oder so.

----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Eigentlich ich die Schule gratis. Die staatliche Schule auf jeden Fall. Aber wenn sich zu viele um einen Platz in der Oberstufe bewerben, kann es durchaus sein, dass allein für die Entgegennahme des Anmeldeformulars eine Gebühr von 40'000 FCFA (rund 80 Franken und das Durchschnittseinkommen in einem Monat) erhoben wird. Eigentlich ist die Schule gratis.

----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Ca se passe à la télé

Wir sind im Fernsehstudio. Aufgezeichnet wird die Sendung „Ca se passe à la télé“, eine Promo-Sendung, in der sich Firmen, Unternehmungen und dergleichen mehr vorstellen können. Das Publikum zur rechten und linken Seite des Moderatorenpultes geben jeweils die Angestellten der eingeladenen Firma. Dazwischen singen, säuseln, rappen, kreischen, düdeln eingeladene Musikerinnen und Musiker, jeden Alters, jeden Stils, jeden Niveaus. Die Sendung wird aufgezeichnet und jeweils sonntags – im Loop – X Mal wiederholt.

Nöel, einer unsere Schauspieler in „SEVRAGE“, möchte eine zweite Karriere als Musiker aufbauen, da ihn das Theaterbusiness immer wieder mal ankotzt. Als Musiker heisst er Nounou und seine Band besteht, in der Regel, aus verschiedenen Musikern und drei Frauenstimmen. Er sei noch auf der Suche nach dem richtigen Sound, darum versuche er sich auch in diversen Sparten. Was zwischen Tradition und Rock, Chanson und Pop und seiner eigenwilligen Interpretationsart halt.

Bereits um 13 Uhr mussten wir vor Ort sein, aber dann fand die Eile ein jähes Ende. Zuerst wurde gegessen und lange auf den Moderator gewartet. Als der endlich eintraf, war er überbusy und hatte nur ganz kurz Zeit. Ich wurde fälschlicherweise für die Weisse gehalten, die auf Mooré singt ... désole. So wurde es fast halb drei, bis wir endlich im Studio landeten.

Und hier stehen wir nun. Für den Soundcheck muss der Tontechniker zuerst das Mischpult einrichten und dann seine Kabel sortieren. Zwischenzeitlich trudeln immer mehr Musiker ein. Sie alle dürfen, wie Nöel auch, zwei Songs zum Besten geben. Von Musikstarsternchen über Reagge-Rasta-Yeahh-Jahh-Man, zum Coraspieler, zum Protestsänger, zum coolen Rapper ist alles zu haben. Bevor der erste Check  von statten geht, haben wir die erste coupure (Stromausfall).

Das ganze Studio ist in Dunkelheit gehüllt. Einzig die Handypfunzel des Tönlers strahlt ein bisschen ins Schwarze. Die üblichen anzüglichen Bemerkungen, die wahrscheinlich weltweit überall und bei jedem Stromausfall gemacht werden, werden auch hier gesetzt. Auf meine Frage, ob es den kein Notstromaggregat gibt,  schliesslich ist das hier das Staatsfernsehen, sagt man mir, ja, doch, aber bis das jeweils anläuft ist die coupure bereits vorbei.

Und in der Tat, es wird wieder Licht. Weiter mit dem Soundcheck. Doch das eine Kabel will nicht recht und so muss ein neues her, sprich gesucht werden. Das dauert und hoppla, die nächste coupure. Ein paar Minuten später, Licht und Kabel sind jetzt vorhanden dauert der erste Soundcheck ganze dreissig Sekunden. Zweimal Gitarrenschrumschurm und einmal ins Mikro gehaucht, fertig. Der zweite Soundcheck hat auch seine Tücken. Diesmal ist die Gitarre futsch und wer lehnt nun so auf die Schnelle die seine aus? Kurze Diskussionen, dann ist man sich einig, dann hoppla, die nächste coupure. Nein, es ist nicht zum Lachen. Es ist zum Brüllen.

Als das Licht wieder angeht, steht die Belegschaft, respektive das Publikum auch noch im Studio. Alle schön gewandet und die Frauen mit ihren schönsten Perücken, eingehüllt in süsse Parfüms. Ihre Chefs nehmen direkt am Moderatorenpult Platz. Vom Moderator ist noch nichts zu sehen. Eine Frau staubt das Moderatorenpult ab und richtet die Mikrophone. Eine Kamerafrau und zwei Kameramänner sind nun auch noch im Studio und bereiten sich auf die Sendung vor, nehme ich an, obwohl ich die Vorbereitungen nicht wirklich sehe. Wo sich die Senderegie befindet ist nicht auszumachen.

Und wieder trudelt eine Schar Musiker ein. Ich will wissen, ob die nun alle in dieser Sendung auftreten? Mais, non, wir zeichnen heute zwei bis drei Sendungen auf.
Es geht weiter mit Soundcheck und ebenso mit den coupures. Irgendwann hat auch Nöel seinen Check hinter sich gebracht. Er ist nervös, denn langsam aber sicher rennt die Zeit davon. Es ist bald 15.00 und um 16Uhr müssen wir reisefertig für SEVRAGE in einem anderen Stadtviertel sein. Vom Moderator noch immer keine Spur.

Die nächste Aufgabe heisst eine Reihenfolge erstellen, in der die Musiker jeweils auftreten. Das ist noch nicht gemacht? Mais, non. Klar ist, Nounou kommt zuerst, er muss ja dann weg. Aber wer hat einen Pic, einen Kugelschreiber? Und wer hat ein Blatt Papier? Und wer schreibt? Und für wen macht man diese Liste? Ach so, für den Moderator.

Und nein, pas encore une coupure, nach sechs gezählten Stromausfällen in 1,5 Stunden geht nun alles seinen richtigen Weg. Der Moderator schwebt ein, witzelt was von zu heiss und so und bringt die Frauen im Publikum zum Lachen. Und erinnert alle daran, dass heute Sonntag ist, nicht Mittwoch. Dann kommen sich die Kamerafrau und ein Kameramann ins Gehege, das heisst ihre Kabel verfangen sich, es schein unklar, wer wenn im Sucher hat und welche Kamera aufzeichnet. Kurzer, heftiger Wortwechsel und schon ist es auch wieder vorbei.

War das nun ein Training oder schon die Aufzeichnung? Nöel meint, es sei die Testaufnahme, aber die würden oft verwendet, da ansonsten die Leute zu nervös seien ... Was denn nun?
Es ist 15.40 als Nounou endlich singen kann. Um15.50 bestiegen wir den Töff und fahren zum Treffpunkt. Wir werden nur ein bisschen zu spät eintrudeln. Unterwegs fahren wir an einem Unfall vorbei. Aber das ist doch das Auto von Augusta, einer Schauspielerin, die ebenfalls um 16 Uhr am Treffpunkt sein sollte. Was ist passiert? Ist jemand verletzt? Nein nur ein Blechschaden. Zum Glück. Jetzt warten wir alle auf die Polizei. Aber das ist eine andere Geschichte.

----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Apple c’est Suisse, non? Nein, Apple ist eine amerikanische Marke. Bist du sicher? Ja, ich bin sicher. Warum? Hé ici en Ouaga sind alle überzeugt, dass Apple und iPhone et tututtu aus der Schweiz kommen. Warum? Weil alle Schweizer, die hier in BF sind Applecomputer und iPhone haben, tous, tous, tous.



Freitag, 5. Oktober 2012

OSER LUTTER - SAVOIR VAINCRE 2èm partie


Wehe, wenn die losgelassen .... Bacchantinnen
Bis, ja bis, eine Woche, notabene, vor der nächsten Arbeitsstaffel, Etienne  Minougou, Schauspieler, Regisseur, Dramaturg und seines Zeichens Directeur des « Récréâtrales » (Résidences panafricaines d’écriture, de création et de formation théâtrales) et de la Compagnie Falinga au Burkina Faso, 
Promoteur de la Coalition africaine pour la Culture Expert associé au programme culture UE/ ACP der Companie erklärte, ihre Produktion sei ersatzlos gestrichen, die Cartes blanche von Tassembédo nichtig.

Et voilà. Und plötzlich stehen rund 20 Künstler ohne Engagement, ohne Geld auf den staubigen Strassen von Ouaga. Künsterinnen und Künstler, die andere Angebote ausschlugen, sich nicht an Ausschreibungen beteiligten, brev, die auf die Bacchantinnen setzten. Und die bereits sehr weit gekommen waren. Und bereits sehr viel Gratisarbeit geleistet hatten.

Nun ist dieser Vorgang nicht einzigartig. Das Produktionen abgesagt, verschoben werden kommt immer wieder vor. Hüben wie drüben. Bloss das drüben, sprich in der Schweiz mindestens die Mindestregeln eingehalten werden müssen (was auch nicht immer passiert, ich weiss). Aber dann ist die Schlichtungsstelle dann doch zur Stelle.

Hier lasten solche Konsequenzen ungleich schwerer. Da Geld immer knapp ist und sich die Menschen im Hinblick auf Engagement oftmals verschulden, sind Njets eine Katastrophe mit langen Rattenschwänzen. Schulausgaben für Kinder, längst fällige Medikamente, Schuldensanierungen, ja selbst das Benzin für den Töff kann nicht mehr bezahlt werden. Und, nein deine Freunde kannst du nicht anpumpen, die stehen in der gleichen Kloacke, ohne Gummistiefel ...

Und so werden in der Regel, solche „Schicksale“ murrend akzeptiert und sind bald vergessen. Bis zum nächsten Mal. Umso erstaunlicher, dass diese Dionysos-Equipe nun beschlossen hat, sich nicht einfach zu beugen. Sondern es wagt Fragen und Forderungen zu stellen, drüber zu sprechen, ihre Kollegen und Kolleginnen zu informieren, den verweigerten Dialog (per Mail wurde zweimal angefragt, ob man denn nicht doch ...) zu veröffentlichen und weiter zu proben. Auch ohne Saläre.

Irène Tassembédo ist mit von der Partie. Das heisst, die Proben finden weiterhin bei ihr statt, für die Equipe wird weiterhin gekocht, wer dringend Benzinmünz, Kinderbetreuung oder sonst was braucht, erhält ein Minimum an Unterstützung. Auch sie nutzt ihre Kontakte, informiert ihre Szene. Auch sie findet die Art und  Weise wie mit den Künstlern umgegangen wird, diese Respektlosigkeit! eine Frechheit.

Warum hat man die Carte blanche von Irène Tassembédo mir nichts dir nichts gestrichen? Was für ein Machtkampf wird auf den baren Füssen der Schauspieler ausgetragen? Gibt es eine hidden agenda, von der nur Eingeweihte wissen? Warum, wenn den schon etliche, versprochene Gelder nicht ausbezahlt werden, wird nicht linear bei allen Produktionen gekürzt? Hier sprechen ja dauernd alle immer von der Solidarität, die wir längst nicht mehr hätten ... 
Und um wie viel Geld handelt es sich? Wieso wird das alles nicht offen kommuniziert?  Die Schweizer halten ihr Geld, so hört man, auch zurück. In der letzten Buchhaltung sind Unregelmässigkeiten aufgetaucht ... Viele Fragen, wenig Antworten. Es wäre spannend, dieser exemplarischen Geschichte nachzugehen. Aber welche Publikation würde so einen Artikel veröffentlichen?

Geschichten aus Westafrika sind in unseren Medien noch immer rar. Lieber publizieren alle, jeden Tag, jeden verdammten Scheiss, denn irgendwo ein amerikanischer Präsikandidat von sich gibt. Der amerikanische Wahlkampf scheint für die Schweiz von allerhöchster Priorität zu sein, dabei sind die Geschichten aus dem laufenden WK nicht einen Klick wert. Wirtschaftsmacht, Wirtschaftsmotor, Colapower über alles. Bin kurz abgedriftet, aber das geht mir gewaltig ans Gäder. Dieses einseitige Themensetting. Das war im letzten Jahrhundert noch knapp okay, aber hé! die Welt ist längst eine andere und nicht einzig die Sternenbannerpolitiker oder Wirtschaftsagenturen schreiben Geschichte(n).

Und wenn ich schon am Abdriften bin, ein kurzer Ausflug in die Tier- und Umwelt. Heute haben mich mindestens schon 30 Mücken gestochen, gestern waren es eben so viele, und morgen werden es nicht weniger sein. Anti Brumm für die Katz! Die Temperatur liegt aktuell bei 36 Grad und seit neuestem müssen sich alle, die eine Natelnummer haben, registrieren lassen, ansonsten wird die Nummer gekappt. Heisst es offiziell, ob es dann auch tatsächlich so sein wird, on verra.
Und aus noch nicht verifizierten Gründen scheint Gas Mangelware zu sein. Die Menschen stehen stundenlang mit ihren leeren Gasflaschen, auch für die Katz.

De retour. Les bacchantes. 
DIONYSOS:  Hier bin ich nun, in Theben, ich, der Sohn des Zeus,  Dionysos, den einst des Kadmos Kind, Semele,  in eines Blitzes Feuerstrahl zur Welt gebracht. Als Gott in menschlicher Gestalt erreichte ich
den Quell der Dirke und die Fluten des Ismenos.
Das Grabmal meiner Mutter, die der Blitz erschlug,
erblick ich dort am Schloß, und ihres Hauses Trümmer;
sie rauchen heut noch, Glut des Zeus, und künden ewig
von Heras wilder Eifersucht auf meine Mutter.

Ich lobe Kadmos, der den Platz als Heiligtum
der Tochter weihte; und ich hegte diese Stätte  rings ein mit frischem, traubenreichem Rebengrün. 
Botenbericht des Hirten vom Treiben der Bakchen:
Da sah man Rippen, sah gespaltne Hufe wirbeln  nach hier, nach dort. Und an den Tannen blieb es hängen  und ließ, blutüberströmt, die Tropfen niederrinnen.  Die Stiere, sonst so übermütig und geneigt  zum Stoße mit den Hörnern, taumelten zu Boden,  von tausend starken Frauenarmen fortgeschleift.  Und schneller ward das Fleisch in Fetzen fortgetragen,  als deines königlichen Auges Wimper zuckt.    Dann stürmten, wie ein Vogelschwarm, der aufsteigt, sie  zur Niederung hinab, die längs des Asopos  die fetten Ähren der Thebaner reifen läßt,  und stürzten sich, ein feindlich Heer, auf Hysiai  und Erythrai am Fuße der Kithaironberge,  und schleppten alles fort in buntem Durcheinander.  Aus Häusern rafften sie sich Kinder auf. Und was  sie auf die Schultern luden, das blieb ohne Riemen  dort haften, stürzte nicht herab zur schwarzen Erde,  auch Erz, auch Eisen nicht. Auf ihren Locken trugen  sie Feuer, das nicht sengte. Wütend nun ergriff  das Volk, das von den Bakchen sich geplündert sah,  die Waffen. Das ergab ein seltsam Schauspiel, Herr:  Die Bauern schlugen mit den Waffen keine Wunden,  die Bakchen schleuderten den Thyrsos aus der Hand  und trafen bis auf Blut und jagten, sie, die Weiber,  die Männer in die Flucht! Da war ein Gott im Spiel!  
Proben zu den Bacchantinnen - chez Irène Tassembédo

Hier in Ouagdougou ist kein Gott mit im Spiel. Abgesehen davon, dass sich gewisse Theatermacher durchaus wie Götter, denen alles offen steht, benehmen. Nein, hier berauscht sich niemand, kein Ausrasten, kein wildes Gebaren, kein Furiengesang. Einzig eine Truppe von Schauspielern, die sich nicht mehr alles gefallen lassen will. Mit einer Frau an der Spitze, die genug Einfluss und Macht hat, den Kampf gegen die Ungerechtigkeit zu führen ...

Die Proben dauern lange, inklusive Samstag. Von 8 bis 13h, von 13.30 bis 17 oder auch 21h. Viel Choreo, viel Tanz, viel Textarbeit. Kostümprobe, Musikprobe, Licht- und Tonproben.
Jetzt stehen auch die Spieldaten fest, der Spielort ist gebucht und es wird in direkter Konkurrenz zu den Récréâtralauführungen gespielt werden. Gleiche Tage, gleiche Spielzeiten. Zwischenzeitlich wird der Kampf auch finanziell von verschiedensten Privatspenden unterstützt. Jeder FCFA ist willkommen.

Wie auch immer der Bacchantinnen-, oder ist es eher der Kampf des Dionysos? enden wird, gewonnen  haben die Künstler und Künstlerinnen sowieso.

p.s. Die so viel gepriesene Solidarität unter den Künstlern hier im Lande, hält sich in engen, um nicht zu sagen engsten Grenzen ...


Dienstag, 2. Oktober 2012

"SEVRAGE" en route

Fast ein griechische Arena
1000 Grillen zirpen, die feuchte Luft sitzt wie ein Senkblei im Nacken, nicht ein Lüftchen regt sich und la lune nimmt inmitten aller Sterne ab. Schwärme von Insekten. Wir sind im Petit Séminaire de Pabré, einem katholischen Internat für Knaben und angehende Priester, unweit von Kamboinsé, eine Stunde ausserhalb von Ouaga. Es ist 20 Uhr und die erste Vorstellung, auf der vier Länder-Tournee (Burkina Faso, Niger, Mali, Togo) von "Sevrage", ist ein bisschen im Verzug. Aber nur ein bisschen. Denn wir hatten encore une fois eine coupure, einen Stromausfall. Mais ça va aller, trankil. Schliesslich sind wir pünktlich in Ouaga losgefahren. Der Motor schnurrte, im Bus wurde rege getratscht. Das Bühnenbild, leicht und ebenso leicht montierbar, die Musikinstrumente waren innert einer halben Stunde auf dem Tourbus festgezurrt.

Abdoullay, Herrscher über alle Accessoire im Element
Alle Schauspielerinnen und Schauspieler sind sur place. Einige decken sich noch mit Parfum ein, die Occassion ist zu verlockend. Kostüme, ein paar Scheinwerfer, Wasser, eine Notration süsser Sesamplätzchen und diverse Taschenlampen sind mit an Board. Man lacht über Mabrou, den Musiker, der sich bereits von Zuhause verabschiedet hatt und mit leichtem Gepäck dasteht, weil er nicht verstanden hatt, dass in der ersten Tourneewoche jeden Abend nach Ouaga zurück gekehrt wird. Und der, warum das wissen nun wirklich nur die Götter, zuhause erzählt hat er werde zwei Monate durch  Spanien touren ... Gewisse Dinge werden immer ein Rätsel bleiben ... Männer zum Beispiel ... oder besser Ehemänner ...

Vor den offen Toren einer kleinen Theaterarena nach griechischen Vorbild gebaut, warten rund 250 Jungs in allen Altersklassen im Dunklen auf Einlass. Fatou, unsere Lichtfrau lässt sich nicht drängen und stöpselte unzählige Male die Steckdosen um. Auf welcher Dose hat es Jus (Strom) und wo nicht?
Kurz vorher sind wir alle nochmals in den Bus gestiegen und haben und darüber unterhalten, ob wir unser Stück allenfalls anpassen müssen, schliesslich sind wir  bei den Katholen und erst noch in Burkina Faso zu Gast. Die Frage stellten, wie meist, die Verantwortlichen vom Theater-C.I.T.O.

Ja, in Sevrage geht es neben den Frauenrechten auch ums Schwulsein, Und ja, auch ein Prostituierte hat mehr als einen Auftritt. Und ja, manchmal ist die Sprache vulgär. Und ja, die Frauen zeigen ihre dicken, schönen, runden Ärsche. Und ja, wir sprechen von Vergewaltigung, sexueller Ausbeutung, Despotismus, Scheinheiligkeit. Und ja, wir machen uns über Politiker lustig. Und ja, im Stück spielen Männer Frauen und Frauen Männer. Und, und ja, wir haben mehr als ein Botschaft. Und ja, wir haben ein Happy End und ja, wir zeigen, dass sich Solidarität lohnt.  Für Frauen und für Männer.

Unsere Schauspieler halten jedenfalls in ihrer Freiheit der Interpretation fest, und beschliessen allenfalls die derbsten Anspielungen abzuschwächen. Mehr nicht. Man lebt auch im BF im Jahre 2012.

Fatou lässt sich nicht stressen, Ibrah hilft mit, Adama überwacht
Und dann beginnt das Spektakel. Die Jungs mit ihren Lehrern nehmen Platz. Und was für ein Geschnatter. Ich wusste gar nicht, dass Jungs auch so schnattern können. die Stimmung ist aufgekratzt.
Noel verliesst hinter den Kulissen die Kriegserklärung - zuvor musste noch eine halbwegs taugliche Taschenlampe organisiert werden, den die Natellämpchen, die hier zu jedem Portable gehören, leuchte keine Elle lang.  Und dann sind wir mitten dans le spectacle.

SEVRAGE- les femmes font leurs grève: Kadhi, Halimata, Monique, Augusta, Oliva, Valerie, Patricia

Den jungen Männern scheint es zu gefallen. Es wird laut gelacht, kommentiert, fotografiert. Auch die Lehrer zeigen sich in keiner Art und Weise brüskiert. Zum Glück hat die Selbstzensur nicht funktioniert. Unsere Truppe spielt fantastisch, alle loten ihr Terrain, nehme sich den Raum, den sie brauchen und lassen sich auch durch eine Minicoupure nicht aus der Fassung bringen. Monique, im sexy Dress, spielt die Prostituierte Batogoma. Während sie aus ihrem Hundeleben erzählt, von der Vergewaltigung durch den Vater, die Ausbeutung durch den Mann und die Klienten wogt ihr eine Welle an Ablehnung entgegen. Prostituiert sind halt ... Monique hebt den Kopf, adressiert sich direkt ans Publikum, schaut einzelne direkt an, erzählt mit gebrochener Stimme weiter. Die Männerschar wird  leiser, bis es ganz still in der Arena ist. Bravo. Einzig die beiden Musiker stehen noch neben den Instrumenten. Sie scheinen vergessen zu haben, dass sie auch im Kostüm und Teil der Inszenierung sind. Und das Licht ist auch nicht so erhellend ...

Die Soldaten sind in einem lamentablen Zustand, mit ihren Dauererektionen. Ibrah, Max, Soum, Noël

Doch alles lief rund und am Schluss war der Applaus laut und nein, nicht lange, aber laut.
Und der Schuldirektor bedankte sich für das gezeigte Spectacle. Sprach von der gelungen künstlerischen Umsetzung, von all den Themen, die das Stück anreisse und davon, dass zu einer Ausbildung Kultur und im speziellen das Theater gehöre. Und er sprach von Liberation, nicht Libertinage ... Geile Siech!

In der Folge bat er noch um ein Lied und ein Gebet für den Frieden (Mali wurde erwähnt) und für alle Frauen dieser Welt, die noch viel zu viel erleiden müssten. Natürlich beteten wir zur heiligen Jungfrau Maria. Von Frau zu Frau, von Mann zu Frau. Und einmal mehr bestätigte sich für mich, einmal katholisch, immer katholisch. Kirchenaustritt hin, Kirchenaustritt lange her.

Mir hat das alles sehr gefallen. Die Heimreise war fertig, ehe sie richtig begonnen hatte. Im C.I.T.O. angekommen verzogen sich alle tout de suit nach Hause. Was Mabrou wohl machte?

Die Waffen sind niedergelegt, der Streck ist beendet, das Fest beginnt


Montag, 1. Oktober 2012

Oser Lutter – Savoir Vaincre / verarschen können wir uns selber!



Das Leben als Schauspieler oder Schauspielerin in Westafrika  ist definitiv keine Zuckerwatte. Wer sich nicht vernetzt, hat keine Chance auf einen Job. Die Konkurrenz ist gross, die Konkurrenz kennt kein Erbarmen, die Konkurrenz schläft nie. Das wissen auch die Regisseure, Festivalveranstalter, Produzenten, Geldgeber auf allen hierarchischen Stufen. Gnadenlos spielen sie die Künstler gegeneinander aus. Fehlende Finanzen – la crise financière en Europe – können immer geltend gemacht werden. Versprochene Saläre werden gekürzt, um unerfahrene, junge Schauspieler für weniger als ein halbes baguettes einzustellen. Älter werde gegen Jüngere, Professionelle gegen Laien ausgespielt. Und die hungrigen Jungen lassen sich in der Regel nicht lange bitten, denn die Konkurrenz ist gross, die Konkurrenz kennt kein Erbarmen, die Konkurrenz schläft nie. Und immer kreisen auch diese, nie verstummenden, Gerüchte über den Bühnen: Job für Sex, junge Frau für alten Schwanz; auch die sexuelle Ausbeutung ruht nicht Das Wichtigste ist: mit mindestens einem Fuss im Business zu stehen. Wer sich wehrt, wer sich beklagt, riskiert schnell einmal auf die unsichtbare schwarze Liste zu gelangen. Rebellen sind nicht beliebt. So ist die dauernd beschworene Solidarität, nicht mal ein Lippenbekenntnis wert, wenn überhaupt.

Aber woher soll man auch wissen, dass es sich lohnen, würde gemeinsam zu kämpfen, gemeinsam hinzustehen und Forderungen stellen, wenn man keine Erfahrung, aber auch keine Vorbilder hat? Kämpfen will gelernt, will erfahren sein. Schliesslich ist es auch in der Schweiz, mit allen Ab-, und Versicherungen sehr schwer Arbeitnehmende zu bewegen. Und der 1. Mai ist für die meisten einfach ein freier Tag und kein Anlass, darüber nachzudenken, dass jedes Recht, jede Versicherung und der Respekt für Krampfer, für Dienstleisterinnen, für Studis, für Hilfskulis, für Handwerker, für Künstlerinnen,  für die Intelellos, für alle, die arbeiten, nicht einfach so vom Himmel gefallen sind. Dahinter stehen immer auch Menschen, die eben nicht die Schnauze halten, die verhandeln, Kompromisse suchen, Hinstehen, Meinung kund tun und allenfalls auch streiken. Auch bei uns gilt: Lieber die Faust im Sack und den Kopf in den Sand. Nicht auffallen um nicht reinzufallen, in die grosse Existenzangst.
Und hier in Burkina Faso existiert im Falle eines Streiks der Schauspieler weder eine Streikkasse, geschweige so etwas wie ein minimaler Verdienstausfall.

Doch zum Glück besteht immer auch Hoffnung. Hüben wie drüben.

Wie der aktuelle Fall zeigt. Beginnen wir mit der Struktur.

„Le Cartel est une structure d’administration et de gestion commune mise en place par quatre compagnies de théâtre burkinabé : la Compagnie Falinga, le Théâtr’ Evasion, le Théâtre Eclair, et l’AGTB. Ces compagnies développent, depuis plusieurs années, des projets conjoints et des projets propres et connaissent des besoins croissants dans le domaine de l’administration, du suivi et de la gestion de projets. La vocation première du Cartel est donc de constituer un instrument d’administration et de gestion professionnel et performant.“

Eines der Projekte, das seit 2002 alle zwei Jahre über die Bühnen geht: Les Récréâtrales.

„Depuis 2002, les Récréâtrales, Résidences de création, de formation et d’écriture théâtrales panafricaines, ambitionnent donc d’offrir, bi-annuellement, à des équipes de création du continent ce qui leur manque le plus à ce jour : du temps (pour créer), de l’espace (pour s’épanouir), des compétences (pour encadrer les processus et professionnaliser les démarches), des opportunités d’échange (pour confronter son travail au regard d’autres créateurs du continent), des moyens techniques et logistiques (pour faire de ces créations des produits artistiques complets et non des ébauches d’emblée amputées car marquées du sceau de la pauvreté). 
L’idée a séduit les partenaires et enthousiasmé les artistes, si bien qu’à six reprises déjà, les Récréâtrales ont pu proposer un véritable espace de déploiement et de renforcement de leurs capacités créatrices aux professionnels de la scène du continent :
• en accueillant en résidence durant deux à trois mois quatre à six projets de création provenant de pays différents,
• en apportant à l’auteur du texte, qui accompagne le projet, le soutien d’un expert extérieur et en lui donnant l’occasion de confronter son écriture à la scène et, ce faisant, de la peaufiner, voire de la modifier,
• en proposant aux comédiens et metteurs en scène des modules de formation complémentaires adaptés à leurs besoins,
• en mettant à disposition des créations des espaces de répétition et une infrastructure technique optimale,
• en suscitant auprès de l’ensemble des participants une réflexion partagée autour des problèmes de la création théâtrale contemporaine sur le continent et de sa diffusion,
• en organisant, en fin de parcours, une confrontation au public qui, sous forme d’un festival, constitue une première occasion de montrer les résultats du processus créatif à une large audience, mais aussi à quelques spécialistes (organisateurs de festival, promoteurs culturels du continent et d’ailleurs).“

Soweit die Struktur, soweit die Bekenntnisse. So weit, so gut. Aus dieser Struktur heraus entstehen viele grossartige Projekte. Die Récréâtrales sind die Plattform für Künstlerinnen und Künstler um sich zu präsentieren und für die Festivalveranstalter, die Möglichkeit sich einen Überblick zu verschaffen, und allenfalls eine Compagnie einzuladen. Finanziert werden die Récréâtrales mit den Kulturetats aus diversen europäischen Ländern, die Schweiz ist mit von der Partie.

Von den vielen eingereichten Projekten erhielten 7 ein „Allez!“. Und 2 grosse Namen in der Kulturszene von BF eine Carte blanche. Dabei: Irène Tassembedo, ihres Zeichens ein Urgestein in der Tanzszene von Westafrika. Eine beeindruckende Frau. Die Löwin unter den Elefanten, wie die grossen Theatermacher hier genannt werden.  Irène Tassembédo, Tänzerin, Choreografin, Förderin und Kämpferin für die Tanzszene. Sie unterhält eine Ausbildungsstätte für Tänzerinnen, fördert, unterstützt, bewegt. Sie bietet Kurse für Kids und tututu an, pflegt den internationalen Austausch. Und ihr Espace erreicht locker europäischen Standart. Schöne Sääle, funktionierende Infrastruktur, alles propre, alles tipptopp.

Irène Tassembédo verschrieb sich für das Projekt 2012, mit über 20 Schauspielern, Tänzerinnen, Musikern den Bacchantinnen von Euripides.

„Dionysos, Sohn des Zeus und der Semele, der Gott des Weines und des Rausches, ist – in Menschengestalt – in seine Geburtsstadt Theben zurückgekehrt, um sich an deren Bewohnern zu rächen, die seine Göttlichkeit nicht anerkennen. Er lässt alle Frauen der Stadt in einen Wahn verfallen und führt sie heraus auf den Berg Kithairon - darunter auch Agave, die Mutter des Herrschers Penthaus. Boten berichten, die Frauen lebten mit wilden Tieren und schlügen mit Thyrososstäben gegen die Felsen, so dass Wein herausquelle. Als man sie gestört habe, hätten sie mit übermenschlichen Kräften alles zerstört, was ihnen in den Weg gekommen sei.“ (Wiki)

Über drei Monate arbeitete sich die Companie in dieses antike Stück, über die Herrschaft, ein. Improvisierte, lernte Texte auswendig, tanzte, tanzte, tanzte.