Dienstag, 2. Oktober 2012

"SEVRAGE" en route

Fast ein griechische Arena
1000 Grillen zirpen, die feuchte Luft sitzt wie ein Senkblei im Nacken, nicht ein Lüftchen regt sich und la lune nimmt inmitten aller Sterne ab. Schwärme von Insekten. Wir sind im Petit Séminaire de Pabré, einem katholischen Internat für Knaben und angehende Priester, unweit von Kamboinsé, eine Stunde ausserhalb von Ouaga. Es ist 20 Uhr und die erste Vorstellung, auf der vier Länder-Tournee (Burkina Faso, Niger, Mali, Togo) von "Sevrage", ist ein bisschen im Verzug. Aber nur ein bisschen. Denn wir hatten encore une fois eine coupure, einen Stromausfall. Mais ça va aller, trankil. Schliesslich sind wir pünktlich in Ouaga losgefahren. Der Motor schnurrte, im Bus wurde rege getratscht. Das Bühnenbild, leicht und ebenso leicht montierbar, die Musikinstrumente waren innert einer halben Stunde auf dem Tourbus festgezurrt.

Abdoullay, Herrscher über alle Accessoire im Element
Alle Schauspielerinnen und Schauspieler sind sur place. Einige decken sich noch mit Parfum ein, die Occassion ist zu verlockend. Kostüme, ein paar Scheinwerfer, Wasser, eine Notration süsser Sesamplätzchen und diverse Taschenlampen sind mit an Board. Man lacht über Mabrou, den Musiker, der sich bereits von Zuhause verabschiedet hatt und mit leichtem Gepäck dasteht, weil er nicht verstanden hatt, dass in der ersten Tourneewoche jeden Abend nach Ouaga zurück gekehrt wird. Und der, warum das wissen nun wirklich nur die Götter, zuhause erzählt hat er werde zwei Monate durch  Spanien touren ... Gewisse Dinge werden immer ein Rätsel bleiben ... Männer zum Beispiel ... oder besser Ehemänner ...

Vor den offen Toren einer kleinen Theaterarena nach griechischen Vorbild gebaut, warten rund 250 Jungs in allen Altersklassen im Dunklen auf Einlass. Fatou, unsere Lichtfrau lässt sich nicht drängen und stöpselte unzählige Male die Steckdosen um. Auf welcher Dose hat es Jus (Strom) und wo nicht?
Kurz vorher sind wir alle nochmals in den Bus gestiegen und haben und darüber unterhalten, ob wir unser Stück allenfalls anpassen müssen, schliesslich sind wir  bei den Katholen und erst noch in Burkina Faso zu Gast. Die Frage stellten, wie meist, die Verantwortlichen vom Theater-C.I.T.O.

Ja, in Sevrage geht es neben den Frauenrechten auch ums Schwulsein, Und ja, auch ein Prostituierte hat mehr als einen Auftritt. Und ja, manchmal ist die Sprache vulgär. Und ja, die Frauen zeigen ihre dicken, schönen, runden Ärsche. Und ja, wir sprechen von Vergewaltigung, sexueller Ausbeutung, Despotismus, Scheinheiligkeit. Und ja, wir machen uns über Politiker lustig. Und ja, im Stück spielen Männer Frauen und Frauen Männer. Und, und ja, wir haben mehr als ein Botschaft. Und ja, wir haben ein Happy End und ja, wir zeigen, dass sich Solidarität lohnt.  Für Frauen und für Männer.

Unsere Schauspieler halten jedenfalls in ihrer Freiheit der Interpretation fest, und beschliessen allenfalls die derbsten Anspielungen abzuschwächen. Mehr nicht. Man lebt auch im BF im Jahre 2012.

Fatou lässt sich nicht stressen, Ibrah hilft mit, Adama überwacht
Und dann beginnt das Spektakel. Die Jungs mit ihren Lehrern nehmen Platz. Und was für ein Geschnatter. Ich wusste gar nicht, dass Jungs auch so schnattern können. die Stimmung ist aufgekratzt.
Noel verliesst hinter den Kulissen die Kriegserklärung - zuvor musste noch eine halbwegs taugliche Taschenlampe organisiert werden, den die Natellämpchen, die hier zu jedem Portable gehören, leuchte keine Elle lang.  Und dann sind wir mitten dans le spectacle.

SEVRAGE- les femmes font leurs grève: Kadhi, Halimata, Monique, Augusta, Oliva, Valerie, Patricia

Den jungen Männern scheint es zu gefallen. Es wird laut gelacht, kommentiert, fotografiert. Auch die Lehrer zeigen sich in keiner Art und Weise brüskiert. Zum Glück hat die Selbstzensur nicht funktioniert. Unsere Truppe spielt fantastisch, alle loten ihr Terrain, nehme sich den Raum, den sie brauchen und lassen sich auch durch eine Minicoupure nicht aus der Fassung bringen. Monique, im sexy Dress, spielt die Prostituierte Batogoma. Während sie aus ihrem Hundeleben erzählt, von der Vergewaltigung durch den Vater, die Ausbeutung durch den Mann und die Klienten wogt ihr eine Welle an Ablehnung entgegen. Prostituiert sind halt ... Monique hebt den Kopf, adressiert sich direkt ans Publikum, schaut einzelne direkt an, erzählt mit gebrochener Stimme weiter. Die Männerschar wird  leiser, bis es ganz still in der Arena ist. Bravo. Einzig die beiden Musiker stehen noch neben den Instrumenten. Sie scheinen vergessen zu haben, dass sie auch im Kostüm und Teil der Inszenierung sind. Und das Licht ist auch nicht so erhellend ...

Die Soldaten sind in einem lamentablen Zustand, mit ihren Dauererektionen. Ibrah, Max, Soum, Noël

Doch alles lief rund und am Schluss war der Applaus laut und nein, nicht lange, aber laut.
Und der Schuldirektor bedankte sich für das gezeigte Spectacle. Sprach von der gelungen künstlerischen Umsetzung, von all den Themen, die das Stück anreisse und davon, dass zu einer Ausbildung Kultur und im speziellen das Theater gehöre. Und er sprach von Liberation, nicht Libertinage ... Geile Siech!

In der Folge bat er noch um ein Lied und ein Gebet für den Frieden (Mali wurde erwähnt) und für alle Frauen dieser Welt, die noch viel zu viel erleiden müssten. Natürlich beteten wir zur heiligen Jungfrau Maria. Von Frau zu Frau, von Mann zu Frau. Und einmal mehr bestätigte sich für mich, einmal katholisch, immer katholisch. Kirchenaustritt hin, Kirchenaustritt lange her.

Mir hat das alles sehr gefallen. Die Heimreise war fertig, ehe sie richtig begonnen hatte. Im C.I.T.O. angekommen verzogen sich alle tout de suit nach Hause. Was Mabrou wohl machte?

Die Waffen sind niedergelegt, der Streck ist beendet, das Fest beginnt


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