Donnerstag, 28. Januar 2016

Melancholie in Ouaga und eine Prise Heimweh


Abreisetage sind irgendwie Nullertage. Rund und doch nicht rund, eine Null halt. Zwischen Packen und Abschliessen und Aufbrechen und den sentimentalgemischten Gefühlen, Staub überall. Eine leise Melancholie verheiratet mit einer Prise Heimweh. Das letzte Mal unter einem Rinnsal kalt Duschen, die Gedanken schweifen lassen, Erinnerungen klopfen an und Bilder tauchen auf. Die letzten Rechnungen unterschreiben, denn die Buchhaltung will gefüttert sein.

Veredique nimmt die Vorhänge ab und Milou, das Hündchen (Requisit) mit  nach Hause. "Toujour quand je le vois, je penserai à votier spectacle.

 Ouagadougou. Es hängt noch immer ein Trauerschleier über der Stadt.
Wir gehen fort, sie bleiben da.
Wir kommen wieder.

Unser Atelier ist abgeschlossen  - Ouaga 2016

Unser Rechercheatelier zur neusten Kuckuck-Produktion haben wir erfolgreich abgeschlossen. Wenn uns die Geldgötter hold sind, werden wir im Herbst zurückkehren und eine weitere Co-Produktion realisieren. Und diese, wenn immer möglich, im 2017 in der Schweiz zeigen. Im Fokus steht die Entwicklungshilfe der Schweiz für Afrika, aber auch die Faszination der Europäer für diesen Kontinent. Schuld(en), Verantwortung, Vergebung. Natürlich wissen wir, dass Milo Rau – wir werden sein Stück anschauen, wenn wir in der Schweiz sind – just jetzt ein Stück mit demselben Inhalt realisiert hat. Es ist wie mit der Liebe, die liegt immer in der Luft und kann wie gewisse Themen nicht genug umkreist werden. On verra.

Was auch immer noch auf dieser Erde passiert, was auch immer noch geschieht und es geschieht verdammt viel in diesen Tagen, wir sind überzeugt davon, dass wir nur gemeinsam über die Runden kommen. Solidarität ist, auch wenn sie aktuell im politischen Fadenkreuz und zum Abschuss bereitsteht, die einzige Antwort, die wir kennen. Gestern. Heute. Morgen.
Wir bleiben dran. Auch Kleinvieh macht Mist. Und der düngt gut.



Dienstag, 26. Januar 2016

Von „couvre-feu“ zu „ouvre-feu“ – Allerlei aus Ouaga


Am Sonntag Ausflug in den Stadtpark von Ouagadougou. Der Park ist in drei Teile aufgeteilt und so sind auch die Eintritte gewertet. Mit oder ohne Tierpark, mit oder ohne Rummelplatz, das gemeine se promenader. Wer fotografieren will, muss ebenfalls einen Zuschlag zahlen. Der Park ist grosszügig, verlaufen kann man sich darin trotzdem nicht. Was für eine Wohltat, endlich wieder einmal ohne Autos und deren Gestank, ohne Töffli und deren Gestank, ohne Lastwagen und deren GESTANK und ohne Nackenschauer raumgreifend spazieren zu gehen. Trankil und entspannt. Denn das Konzept Fussgänger ist in Ouaga unbekannt. Folglich hat es auch keine Trottoirs. Das heisst im eh schon überfüllten Fortbewegungsraum ist man als Fussgängerin ein einziges Hindernis. 
Wer es sich leisten kann, fährt Quatrequatre (4x4), je fetter, desto besser, dann absteigend, je nach Budget, bis zum Velo, Eselskarren (selten geworden). Verkehrsregeln werden lieber nicht und nur wenn nötig eingehalten. Abbiegen ist mehr ein Abschneiden, denn ein richtiges Einspuren. Etc.
Zurück in den Park. Diese schönen Bäume. Mimosenbäume und deren süsser Duft, die ganze Umgebung verzaubert. Bäume mit kleinen, tiefroten Blüten, Bäume mit grossen hölzernen Früchten, Bäume, deren Namen ich leider nicht kenne. Stolze, alte Persönlichkeiten, die sich allen Winden zum Trotz in die Höhe erhoben haben. Unterbrochen immer wieder von kleinen Nischen mit Bänken – die meisten, ob aus Holz, Beton oder Eisen – zerfallen, verbogen, verrottet. Zeugen des unermüdlichen harten Klimas in Westafrika. Hier nagt der Zahn der Zeit schnelle als irgendwo sonst. Doch das tut der Romantik keinen Abbruch. Man kann schliesslich auch auf einer verbogenen Bank seinen Hintern platzieren. Er voilà.
Dann kleine Gartenanlagen à la française. Mit Rasen, Rabatten, Rondellen. Ein Ort für Selfies, ein Ort für Verliebte, auch wenn Rasen betreten verboten ist.
Und tatsächlich treffen wir – auf ein paar wenige, aber immerhin – Verliebte. Turtelnd, Händchenhalten, kichernd, scheu. In allen Altesklassen.
Vielleicht hat es mit meinem Altern zu tun, vielleicht mit den Attentaten, was weiss ich, es berührt und stimmt mich – und auch Christoph, den Jungspund –  wie wir uns versichern, froh.

Blick über den Zaun - Chilbi im Stadtpark von Ouagadougou
Des bonnes nouvelles: Die Ausgangssperre (le couvre-feu) wurde aufgehoben. Eine Massnahme, die seit den Ereignissen im Herbst 14 Bestand hatte. Wir erinnern uns: Nach 28-jähriger Pseudodemokratie und Quasidiktatur wurde Blaise Compaore, von seinem eigenen Volk in die Wüste gejagt. Eine Übergangsregierung wurde vereidigt, die 2015, Wahlen durführen sollte. Was wiederum durch einen Putsch, angeführte von einem ehemaligen Weggefährten von Blaise, General Dinedéré samt Sturmtruppe (ehemalige Präsidentengarde und als solche gut ausgebildet und gut mit Waffen bestückt und mit grosser Wahrscheinlichkeit gut orchestriert aus dem Blais`schen Exil in der Côte d’Ivoire) beinahe vereitelt wurde. Doch bereits einige Tage später ging dem Spuk die Spuke aus. Denn einmal mehr ging das ganze Volk, vereint in den Städten, wie auch auf dem Land auf die Strasse, zeigte sich, bezog Stellung und das Militär zog mit. Die Putschisten hatten keine Chance. Der Putsch, von den Burkinabè als der dümmste Putsch aller Zeiten verhöhnt, wird in die Annalen von Burkina Faso eingebrannt sein. Einige Putschisten sind noch immer frei und zur Fahndung ausgeschrieben. Man geht davon aus, dass der Überfall, vor ein paar Tagen, auf ein Waffenlager in der Nähe von Ouaga auf ihr Konto geht. Die Wahlen fanden dann verspätet, gleichwohl statt. Zum Stolz der Burkinabè. Und bald sollte auch die Ausgangsperre aufgehoben werden. Das Attentat vom 15. Januar 2016  verlängerte die Ausgangssperre. Aber jetzt soll wieder eine Stück mehr der Normalität zu geniessen sein. Jeden Tag.

Mimosen gegen Neurosen - Stadtpark in Ouagadougou
 Seit den schrecklichen Ereignissen haben die Tamashek (Tuareg) ihre Turbane abgelegt. Da sich unter den Attentätern ein verschleierter, sprich Mann mit langem Kopf-Wickeltuch, befunden haben soll, muss sich sie die Gemeinschaft der Tamashek vorsehen. Sie, die eh mehr geduldet, den geachtet sind in Burkina Faso. Sie haben Angst davor geschlagen, wenn nicht gar getötet zu werden. So geben sie sich nun als Peul, ein nomadisches Hirtenvolk in Westafrika, zu erkennen. Für sie ist das couvre-feu, noch nicht wirklich beendet.

Denk ich an unsere Rückkehr in der Nacht, werd ich fast um den Schlaf gebracht ... Nicht aus Angst, aber wenn ich in den Medien die Umfrageergebnisse zum Abstimmungswochenende Ende Februar lese, kommt mir die Galle hoch. Ätzend. Dahin, wo diese Menschenmehrheit wohnt, will ich zurück? Buah. Aber natürlich, will ich. Meine Liebsten wiedersehen. Und das sind deren einige. Und genaus so, wie die Menschen hier um jeden Meter Würde und Freiheit gekämpft haben und weiterkämpfen, genau so muss man, muss ich, müssen wir auch in der Schweiz weiterkämpfen. Wir dürfen das Terrain den rechtsnationalen Populisten nicht überlassen. Sie sind schon viel zu weit gekommen mit ihrer Demokratur, weil eine schlafende Mitte, eine gesättigte Sozialdemokratie k(l)eine Positionen beziehen, dümpeln, mümpeln. Und viele Medien mit ihnen. Wir sind uns alle einig, dass es komplexe Themen zu lösen gilt. Das Kompromisse gemacht werden müssen. Dass es keine einfachen Rezepte gibt, aber es ist verdammt nochmal Sache der Politiker und den Innen, diese Sachverhalte einfach und verständlich zu formulieren. In einer Sprache, mit Metaphern, die verstanden und nicht missverstanden werden.

Ein Schweinehund bleibt ein Schweinehund, auch wenn der Hund an der Leine ist.


Samstag, 23. Januar 2016

Alea iacta est – Die Würfel sind gefallen



Wie fällt man Entscheidungen? Nach Gefühl, nach rationalen Überlegungen, auf eine Empfehlung hin? Aus Angst, aus Mut, aus Wut? Schnell, superschnell, langsam? Mit Würfeln, mit Kopf-oder-Zahl, mit Vodoo? Oder ganz einfach, weil die Geschichte grösser ist als das eigene Projekt?
Und wie fällt man Entscheidungen in einer Gruppe? Mit Alphas, Silberrücken und Punks? Männern und zwei Weibern? Wie, und wann und nochmals wie?

Eine Woche ist es nun her, seit Ouaga Schauplatz einer bestialischen Aktion wurde. Seit DIE  (sie sind eines Namens nicht wert) eine ganze Stadt, ein ganzes Land in Angst und Unsicherheit versetzten. Zwar kehrt langsam aber sicher der Alltag wieder ein und selbst das couvre feu (Aussgangssperre) wurde wieder verkürzt (01:00 bis 05:00), doch die Wunden sind noch längst nicht verheilt. Und je nach Gemütslage, je nach Temperament liegen die Nerven im Freien, dem Staub und der gleissenden Sonne ausgesetzt. Und es braucht nicht mal eine einzige verdammte Stechmücke, die etwas zu laut brummtsummt, um schlechte Erinnerungen zu wecken. Geschweige denn laute Geräusche, Geräusche, die an Detonationen oder Gewehrsalven erinnern. Und deren hat es viele in einer grossen Stadt. Nächtens noch viel mehr.

Wir fahren nicht nach Koudougou - Ouagadougou 2016


Trotzdem haben wir am Mittwoch die Bühne zurückerobert. Hat unsere Truppe gespielt. Flau, mit Unterspannung vor lauter Anspannung und vor ein paar Nasen nur, und zwei Fernsehequipen. Die kommen ja in der Regel nicht nach Ouaga, aber zwei tote Schweizer und dazu noch Ex-Parlamentarier sind dann doch ein Ticket wert. Mais alors.
Das Jenseits und der Tod, Themen unseres Stücks „A tout jamais/Auf ewig“ haben mit den   Attentaten nochmals eine eigene Färbung angenommen. Sätze wie: Zur falschen Zeit, am falschen Ort, oder: Wer wird sich an mich erinnern? oder: Glücklich, sind die, die das überleben, oder: Die Todesstatistik bei Attentaten steigt... Sätze wie diese erhalten einen neuen, irgendwie schlammigen Beigeschmack. Reumaschmerzen ohne Reuma.
Nie habe ich mir gedacht, geschweige den erträumt, dass eines meiner Theaterstücke von der Realität, disons aufgesogen wird.
Am Donnerstag dann eine fast perfekte Performance und ein Publikum, das von der ersten Minute an, gefesselt und angezogen ist. Was will man mehr.
Man freut sich über die neugewonnene Freiheit und denkt an die bevorstehende Tournee.

Doch was nicht sein soll, soll nicht sein. Wie Frankreich, Deutschland, Österreich auch, stuft die Schweiz die Lage in Burkina Faso als erheblich gefährlich ein. Und vor Reisen auserhalb Ouagadougou wird abgeraten. Hmm. Und wohin würde uns die Tournee führen? Ausserhalb  Ouagadougous, claro que si.
Und als dann auch noch ein Munitionslager, in der Nähe von Ouaga, angegriffen wird, Waffen und Munition entwendet werden, fallen die Würfel. Denn man munkelt, der Putschgeneral Diendéré (im Knast, aber das ist kein Hinderungsgrund um gewalttätig zu sein) und seine Jungs (ehemalige Präsidentengarde und mit den DIE verbandelt) stecke dahinter. Wenn auch, ausser dem Überfall, einmal mehr keine Nachricht bestätig ist.
Und noch immer sollen Terroristen in Ouaga sein (schreibt die französische Presse). Stimmt nicht (sagt die Regierung BF) noch immer ist jederzeit ein weiteres Attentat möglich (sagen alle). Und wie soll man da, umzingelt von Gerüchten, Tatsachen, Ratschlägen verdammt nochmal eine Tournee machen? Wie?
Indem man eine Entscheidung trifft und sagt: Wir machen JETZT keine Tournee.
Keine einfache Entscheidung, aber es ist eine. Es ist unsere. Mitunter einsame. Denn keine gemeinsame. Denn für unsere Burkinabètruppe wäre ein Tournee durchaus im Bereich des möglich gelegen. Sagen sie.

Und plötzlich ist morgen Dernière. Wer wird sich an uns erinnern?


Übrigens: TV5 hat ihren Bericht bereits ausgestrahlt.
TSR-Bericht soll am Sonntag im Journal zu sehen sein.
Wenn das jemand für uns aufzeichnen könnte?