Dienstag, 26. Januar 2016

Von „couvre-feu“ zu „ouvre-feu“ – Allerlei aus Ouaga


Am Sonntag Ausflug in den Stadtpark von Ouagadougou. Der Park ist in drei Teile aufgeteilt und so sind auch die Eintritte gewertet. Mit oder ohne Tierpark, mit oder ohne Rummelplatz, das gemeine se promenader. Wer fotografieren will, muss ebenfalls einen Zuschlag zahlen. Der Park ist grosszügig, verlaufen kann man sich darin trotzdem nicht. Was für eine Wohltat, endlich wieder einmal ohne Autos und deren Gestank, ohne Töffli und deren Gestank, ohne Lastwagen und deren GESTANK und ohne Nackenschauer raumgreifend spazieren zu gehen. Trankil und entspannt. Denn das Konzept Fussgänger ist in Ouaga unbekannt. Folglich hat es auch keine Trottoirs. Das heisst im eh schon überfüllten Fortbewegungsraum ist man als Fussgängerin ein einziges Hindernis. 
Wer es sich leisten kann, fährt Quatrequatre (4x4), je fetter, desto besser, dann absteigend, je nach Budget, bis zum Velo, Eselskarren (selten geworden). Verkehrsregeln werden lieber nicht und nur wenn nötig eingehalten. Abbiegen ist mehr ein Abschneiden, denn ein richtiges Einspuren. Etc.
Zurück in den Park. Diese schönen Bäume. Mimosenbäume und deren süsser Duft, die ganze Umgebung verzaubert. Bäume mit kleinen, tiefroten Blüten, Bäume mit grossen hölzernen Früchten, Bäume, deren Namen ich leider nicht kenne. Stolze, alte Persönlichkeiten, die sich allen Winden zum Trotz in die Höhe erhoben haben. Unterbrochen immer wieder von kleinen Nischen mit Bänken – die meisten, ob aus Holz, Beton oder Eisen – zerfallen, verbogen, verrottet. Zeugen des unermüdlichen harten Klimas in Westafrika. Hier nagt der Zahn der Zeit schnelle als irgendwo sonst. Doch das tut der Romantik keinen Abbruch. Man kann schliesslich auch auf einer verbogenen Bank seinen Hintern platzieren. Er voilà.
Dann kleine Gartenanlagen à la française. Mit Rasen, Rabatten, Rondellen. Ein Ort für Selfies, ein Ort für Verliebte, auch wenn Rasen betreten verboten ist.
Und tatsächlich treffen wir – auf ein paar wenige, aber immerhin – Verliebte. Turtelnd, Händchenhalten, kichernd, scheu. In allen Altesklassen.
Vielleicht hat es mit meinem Altern zu tun, vielleicht mit den Attentaten, was weiss ich, es berührt und stimmt mich – und auch Christoph, den Jungspund –  wie wir uns versichern, froh.

Blick über den Zaun - Chilbi im Stadtpark von Ouagadougou
Des bonnes nouvelles: Die Ausgangssperre (le couvre-feu) wurde aufgehoben. Eine Massnahme, die seit den Ereignissen im Herbst 14 Bestand hatte. Wir erinnern uns: Nach 28-jähriger Pseudodemokratie und Quasidiktatur wurde Blaise Compaore, von seinem eigenen Volk in die Wüste gejagt. Eine Übergangsregierung wurde vereidigt, die 2015, Wahlen durführen sollte. Was wiederum durch einen Putsch, angeführte von einem ehemaligen Weggefährten von Blaise, General Dinedéré samt Sturmtruppe (ehemalige Präsidentengarde und als solche gut ausgebildet und gut mit Waffen bestückt und mit grosser Wahrscheinlichkeit gut orchestriert aus dem Blais`schen Exil in der Côte d’Ivoire) beinahe vereitelt wurde. Doch bereits einige Tage später ging dem Spuk die Spuke aus. Denn einmal mehr ging das ganze Volk, vereint in den Städten, wie auch auf dem Land auf die Strasse, zeigte sich, bezog Stellung und das Militär zog mit. Die Putschisten hatten keine Chance. Der Putsch, von den Burkinabè als der dümmste Putsch aller Zeiten verhöhnt, wird in die Annalen von Burkina Faso eingebrannt sein. Einige Putschisten sind noch immer frei und zur Fahndung ausgeschrieben. Man geht davon aus, dass der Überfall, vor ein paar Tagen, auf ein Waffenlager in der Nähe von Ouaga auf ihr Konto geht. Die Wahlen fanden dann verspätet, gleichwohl statt. Zum Stolz der Burkinabè. Und bald sollte auch die Ausgangsperre aufgehoben werden. Das Attentat vom 15. Januar 2016  verlängerte die Ausgangssperre. Aber jetzt soll wieder eine Stück mehr der Normalität zu geniessen sein. Jeden Tag.

Mimosen gegen Neurosen - Stadtpark in Ouagadougou
 Seit den schrecklichen Ereignissen haben die Tamashek (Tuareg) ihre Turbane abgelegt. Da sich unter den Attentätern ein verschleierter, sprich Mann mit langem Kopf-Wickeltuch, befunden haben soll, muss sich sie die Gemeinschaft der Tamashek vorsehen. Sie, die eh mehr geduldet, den geachtet sind in Burkina Faso. Sie haben Angst davor geschlagen, wenn nicht gar getötet zu werden. So geben sie sich nun als Peul, ein nomadisches Hirtenvolk in Westafrika, zu erkennen. Für sie ist das couvre-feu, noch nicht wirklich beendet.

Denk ich an unsere Rückkehr in der Nacht, werd ich fast um den Schlaf gebracht ... Nicht aus Angst, aber wenn ich in den Medien die Umfrageergebnisse zum Abstimmungswochenende Ende Februar lese, kommt mir die Galle hoch. Ätzend. Dahin, wo diese Menschenmehrheit wohnt, will ich zurück? Buah. Aber natürlich, will ich. Meine Liebsten wiedersehen. Und das sind deren einige. Und genaus so, wie die Menschen hier um jeden Meter Würde und Freiheit gekämpft haben und weiterkämpfen, genau so muss man, muss ich, müssen wir auch in der Schweiz weiterkämpfen. Wir dürfen das Terrain den rechtsnationalen Populisten nicht überlassen. Sie sind schon viel zu weit gekommen mit ihrer Demokratur, weil eine schlafende Mitte, eine gesättigte Sozialdemokratie k(l)eine Positionen beziehen, dümpeln, mümpeln. Und viele Medien mit ihnen. Wir sind uns alle einig, dass es komplexe Themen zu lösen gilt. Das Kompromisse gemacht werden müssen. Dass es keine einfachen Rezepte gibt, aber es ist verdammt nochmal Sache der Politiker und den Innen, diese Sachverhalte einfach und verständlich zu formulieren. In einer Sprache, mit Metaphern, die verstanden und nicht missverstanden werden.

Ein Schweinehund bleibt ein Schweinehund, auch wenn der Hund an der Leine ist.


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