Ouaga 2016 |
Die
Staatstrauer hat sich wie eine grosse staubige Decke über die Stadt gelegt. Als
ob Ouaga nicht schon genug staubig wäre. Ouaga, die stolze Kulturhauptstadt von
ganz Westafrika, Ouaga die Tolerante, Ouaga, die Hoffnungsvolle, Ouaga, mon
amour est profondement touchée. Keine laute Musik ist zu hören, alle
Aufführungen aller Art sind abgesagt. Die Attentate sind präsent, 24x7. In den
Medien, auch und vor allem in den sogenannt sozialen?!? schiessen Schuldzuweisungen
und Spekulationen – warum hat es so lange gedauert bis die Polizei, das Militär
vor Ort war? – Hätte man nicht viel mehr Vorkehrungen treffen müssen? – DIE
sollen ja vorher noch in der Moschee gebetet haben – Und die Frauen, die
verschleierten, die, die Tee gekocht haben haben geschossen – , nein, es waren
keine Frauen unter den Attentäter –, welche Rolle spielt die Côte d’Ivoire in
der Angelegenheit? – DIE müssen sich in Acht nehmen, WIR werden das nicht
zulassen –, ins Kraut, als wären sie mit Kameldung gedüngt.
Und alle
kennen jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt, der getötet wurde. Alle
kennen alle, niemand weiss wirklich etwas, betroffen ist eine ganze Nation. In
der Nacht werden abertausende von Fragen in den Himmel geschrieben und der
wachsende Mond hat keine Antworten. On fait avec, où bien?
Wir haben trotz
allem mit unserem Atelier begonnen. Montags um 9 Uhr im neuen Thèâtre Soleil. Warum
auch nicht? Es gibt nur ein Vorwärts und kein Zurück. Oder weil wir sonst
verrückt würden, vielleicht? Weil gegen das Ungeheuerliche nicht anzukommen,
aber damit klarzukommen ist. Weil wir daran glauben, dass wir nur gemeinsam aus
der einsamen Trauer herausfinden. Weil ich ganz schlecht in der Untätigkeit
bin.
Und jetzt
improvisieren wir wie vorgesehen eine Woche lang, sammeln Material für unsere
nächste Kreation, so diese denn ihr Budget findet. Gemeinsam mit Thierry, dem
vorgesehenen Autoren, und 12 Schauspielern und Schauspielerinnen, darunter
Christoph Rath, der auch in der jetzigen Produktion „A tout jamais“ mir von der
Partie ist. Wir kreisen um die Entwicklungshilfe, fragen uns, das heisst die Burkinabès
und wir Schweizer, was sie gebracht hat, was sie bringt und was wäre ohne? Im
Hinterkopf spuckt Lukas Bärfuss’s „Hundert
Tage“ rum und die Geschichte Ruandas, die auch ein Teil der Schweizer
Geschichte ist. Und sprechen über Europäer und Europäerinnen, die gerne
Afrikaner und Afrikanerinnen wären und umgekehrt. Wir schauen uns die Hand, die
gibt, und die Hand, die nimmt an. Genau. Wir lachen viel und trinken Nescafé
mit überzuckerter Kondensmilch aus Holland.
Atelier Ouaga 2016 - Bildstellen für NGO |
Und am Abend sitzen wir im Resto, direkt an der Strasse und warten auf unser Poulet à l'ail avec des frites, als unerwartet drei Fliegende (Polizisten mit grossen Töffs, samt Sirenen) ankündigen? Ja, was einen Minister, denke ich mir. Und dann sind es drei Lastwagen voller ausgebrannter Autowracks. Schwarzdurchgeglühte Karosserien, ausgeschlachtete Skelette. Eine surreale Wahrheit.
So ist das,
am Tag vier. Danach. In Ouagadougou.
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