Sonntag, 17. Januar 2016

Die Banalität wird zur Gewissheit wird – Tag 2 nach den Anschlägen in Ouaga

Das Leben geht weiter, so banal das klingt, so ist es. Gestern war alles noch unter einer grossen Schockglocke gefroren. Heute erwachen die Lebensgeister, die Sonne steht am Himmel wie gehabt und Ouaga samt Einwohnern bleibt Ouaga, wenn auch mit Narben. Tiefen Narben.

Wir diskutieren viel über unser Theaterstück, das fast zu gut zur Aktualität passt. Der Tod, das Jenseits, die Religionen, der Rassismus, die Gewalt und das Leben vor dem Tod, dass es zu leben gilt. Müssen wir gewisse Szenen anpassen, streichen, kürzen? Wie steht es um die Todesszene, wo sich  Guy Olinga mitten in einer Kirche in die Luft sprengt? Aktuell, zynisch, provokant, künstlerische Freiheit? Vor den Anschlägen waren das Fragen, die wir uns gestellt und für uns beantwortet haben. Ja, die Themen liegen in der Luft, ja wir wollen das machen, ja vielleicht sind gewisse Szenen für Burkina Faso gewagt ... Für das Publikum in der Schweiz, war alles vertretbar, was nicht heisst, dass es allen gefallen hat. Aber das ist eine andere Piste. Die ersten Vorstellungen in BF, gingen denn auch ohne grosse Fragen über die Bühne. Es war die Rede davon, dass man einige Szenen nicht in Marokko, nicht in Nordafrika spielen kann, aber hier in BF, wo die Menschen toleranter sind, pas de problème.

Und jetzt, wie weiter? Und was ist mit der bereits geplanten BF-Tournee? Wir können, dürfen uns sicher nicht in den Norden von BF verschieben, die Gefahr einer Entführung sei zu gross. Das heisst, drei Spielorte sind bereits von der Liste gestrichen. Der Rest scheint momentan kein Problem zu sein. Aber stimmt das, fragt die kleine gemeine Stichelstimme in meinem Hinterkopf? Wer wagt die Einschätzung? Zum Glück müssen wir die Fragen nicht heute beantworten (aber bald), wir spielen erst am kommenden Mittwoch wieder. Dazwischen hängt die 3-tägige Staatstrauer. Die heute begonnen hat. Flagge auf Halbmast.

Das Theaterspiel ist eine Seite, die persönliche Betroffenheit eine andere. Gestern nach einem langen zermürbenden und auch traurigen Tag zu Hause, mussten wir – Eric, Christoph und ich – dann doch noch raus, aus dem Haus. Die Psyche wand sich, die Gedanken drehten sich, der Magen rebellierte, und das Herz war irgendwie gequetscht. Die Komfortzone, an die ich verwöhnte Schweizerin so gewöhnt bin, ist eindeutig weg. Der erste Spaziergang „danach“ war dann auch bizarr. Noch nie fühle ich mich so weiss. Schauen uns die Menschen nicht komisch an? Sind wir eine Gefahr für sie, eine Zielscheibe? Ist das alles nur Einbildung? Werden wir, sind wir schon paranoid?

Allen Fragen zum Trotz haben wir uns dann in ein Maquis (Resto) gesetzt und uns was Süsses einverleibt. Einen Süsstrost. Man braucht gar nicht viel, um wieder eine Ordnung im Universum zu finden. Einen kleinen Anker. Nachher haben wir dann grad noch einen kleinen Quartierspaziergang nachgeschoben. Echt frech ... Nein, ich kann allen versichern, der erste Spaziergang war nicht einfach. Auf dem Nachhauseweg kamen uns dann weitere Bleichgesichter entgegen. Aha, die gehen auch aus. Gut so.

Sie wollen uns die Angst ins Gehirn, in unser Fasern, in unsere Lebensadern einschreiben. Und wir dürfen genau das nicht zulassen.  Punkt.
In den sozialen Netzwerken von Burkina Faso bekräftigen die Burkinabè ihren Willen sich nicht unterkriegen zu lassen. Sie beschwören ihr junge, fragile Demokratie, ihren Stolz, ihre religiöse Toleranz. Und wir sind mittendrin. Und das ist gut so.
Unser Gedanken sind mit Jean-Noël Rey und Georgie Lamon. Wir haben die beiden engagierten Männer erst vor ein paar Tagen kennengelernt. Jetzt sind beide tot und wir trauern um sie und alle andern, die ihr Leben verloren haben. Unser Beileid und unser Mitgefühl gilt den Angehörigen. Langsam, aber sicher füllt sich der Mond über Ouaga mit Licht.






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