Im Vorfeld meiner Reise bin ich immer wieder
gefragt worden, ob ich vor Ebola keine Angst hätte. Nein, habe ich jeweils
geantwortet. Hätte ich Angst gehabt, wäre ich gar nicht erst nach Westafrika
geflogen. Afrika und Angst, die beiden können – aus meiner Warte – nicht heiraten. Gedanken über den heftigen
Ausbruch dieser schrecklichen Krankheit habe ich mir gleichwohl gemacht, ebenso
wie ich mich via MsF (Ärzte ohne Grenzen), dem Bundesamt für Gesundheit (Link zu Erreger, Übertragung, Krankheitsbild), Robert Koch Institut, WHO (Antworten auf häufig gestellte Fragen), NZZ und die
Zeit und im www über den Verlauf der Epidemie informiert habe. Und mit Freunden
in Ouaga telefoniert haben. Die mir versicherten, alles sei trankil. And last
but not least kommt mir meine langjährige Arbeit für die Aids-Hilfe Schweiz zu
gute. Ich habe im mindestens eine Ahnung von Viren, von Übertragungswegen, Inkubationszeiten,
von Epidemiologie. Auch wenn sich das Ebola-Virus nicht auf die gleiche Art und Weise wie das
HI-Virus überträgt, so ist es ebenfalls eines, dass nicht so einfach überträgt.
Vorausgesetz natürlich man weiss um die Übertragungswege und man hat Zugang zu
einfachen Hygienemitteln und einem Gesundheitssystem. Das ist bei mir, bei uns
dreien, Roger, Matteo und ich, die wir hier sind, gegeben. Wir sind
krankenversichert, wenn auch teuer – ausgerechnet heute, hat das „Volk“ wieder
einmal seine „Reife“ mit der Ablehnung der Einheitskrankenkasse demonstriert – wie
würden bei Bedarf ausgeflogen werden, ou bien? Und wer sich in Europa behandeln
lassen kann, hat eine zu 50% grösser Chance geheilt zu werden, alors. Der Rest
ist Hände waschen als wiederholtes Tagesritual. Und weiterhin die Medien
kontaktieren. Einzig von diesen hellblauen Desinfektionsmitteln habe ich heuer
drei statt ein Einziges eingepackt. Meine
Psychohygiene.
Die Regierung von Burkina Faso hat bis jetzt
noch nicht wahnsinnig viele Dekrete erlassen. Bei der Ankunft im Flughafen
Ouagadougou mussten alle Passagiere die Hände desinfizieren und die
Körpertemperatur wurde gemessen. Das war’s dann auch schon mit der Prävention.
Keine Plakate, keine Werbung kein gar nichts. Abgesagt wurde der SalonInternational de l' Artisanat Ouagadougou, SIAO, der laut hiesigen Medien einen
Verlust von 85 Millionen CFA in die Kassen – eben nicht – spülen wird. Und bis heute
ich nicht klar, ob die Kinder in die öffentlichen Schule dürfen, da doch
etliche während der langen Sommerferien im Ausland, sicher auch in Sierra
Leone, Liberia, Guinea, weilten.
Das nigerianische Fernsehen – hier gut zu
empfangen – zeigt immerhin Präventionsspots, unterlegt mit rhythmischen Sound (Musikalischer Kampf gegen Ebola, Radio Bremen) und flotten Tanzschritten. Hände desinfizieren mit Chlor (!), Kranke nicht
berühren und sofort zum Arzt, Tote nicht berühren, bei Krankheitsanzeichen wie
Fieber, Durchfall, Blut im Stuhl, Unwohlsein sofort zum Arzt.
Doch Fieber, Durchfall, Unwohlsein ist hier an
der Tagesordnung und für praktisch niemanden eine Grund nicht zur Arbeit zu
gehen, falls man dann eine hat. Zudem können diese Symptome zu einer Palude,
zur Malaria gehören und diese grassiert in der Regenzeit erhöht. Fragt man die
Leute hier, haben sie durchaus Angst und hoffen „DIEU merci“, dass sie einfach
verschont bleiben ... Denn Krankheit und Tod gehören hier zum Alltag, wie das
tägliche Amen in der Kirche.
Nein Angst vor Krankheiten, Bakterien, Viren
sind hier, wie auch Leichtsinn, fehl am Platz. Respekt und die nötige Vor- und
Umsicht jedoch zwingend. Denn von Bakterien und Viren und unzähligen Erregern
hat es hier auch ohne Ebola mehr als genug.
Wen wundert’s? Auch in unserem Quartier
Kamsoghin in Ouagadougou, leben die Menschen in scheinbarer Eintracht neben
offen Wassergräben (Brutstätten für Moskitos), Bergen von Unrat,
Tierexkrementen, Haushaltabfällen, Benzin und Öllachen, Feuerstellen, kaputten
Batterien, Seifenlauge, Plastikmüll – alles was ein durchschnittlicher Haushalt,
Autogaragen, Restaurants, Tierställe (Geissen, Schafe, Kühe, wenige Pferde) und
jedwegliches Kleingewerbe so täglich entsorgen – vor der Haustüre. Fegt dann
noch ein heftiges Gewitter, wie jetzt in der Regenzeit praktisch alle drei
Tage, über die Stadt, verwandeln sich die Quartierstrassen in mäandernde Bäche,
die allen Dreck mit sich führen. Leben mit der Kloake. Zieht die Sonne wieder
auf bleibt ein stinkiger Schlamm liegen. Bis zum nächsten Gewitter. Einzig die
Sonne hat die Kraft alles auszutrocknen
und buchstäblich in Staub zu verwandeln und zumindest einen Teil der Bakterien
und Co. abzutöten.
Von einem halbwegs funktionierenden Abwasser-
und Entsorgungssystem ist Ouagadougou noch Meilen oder Jahre, realistischer
Jahrzehnte entfernt. Bis heute hat es weder die Regierung, falls sie es je
ernsthaft propagiert hat, noch die Weltbank, noch UNHCR, noch die WHO, noch die
alte Kolonialmacht geschafft den Menschen ein Bewusstsein und eine Verantwortlichkeit
für das was VOR der Türe liegt, was der Gemeinschaft gehört, zu schaffen. Ich spreche hier nicht von den
Ärmsten und Armen, ich spreche hier von der Mittelschicht in Ouaga, zum
Beispiel unser Nachbar, der als Englischprofessor am Gymnasium unterrichtet und
sich genau so wenig am Dreck vor seiner Türe stösst, wie alle andern im
Quartier auch.
Ich wundere mich immer wieder aufs Neue. Dabei
kann längst ohne Probleme durch unser Quartier spazieren und mich einzig auf
die Schönheiten in unserem Quartier konzentrieren. Selektive Wahrnehmung, nennt
man das.
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