Montag, 29. September 2014

Ebola und (k)eine Scheisskanalisation

Im Vorfeld meiner Reise bin ich immer wieder gefragt worden, ob ich vor Ebola keine Angst hätte. Nein, habe ich jeweils geantwortet. Hätte ich Angst gehabt, wäre ich gar nicht erst nach Westafrika geflogen. Afrika und Angst, die beiden können – aus meiner Warte –  nicht heiraten. Gedanken über den heftigen Ausbruch dieser schrecklichen Krankheit habe ich mir gleichwohl gemacht, ebenso wie ich mich via MsF (Ärzte ohne Grenzen), dem Bundesamt für Gesundheit (Link zu Erreger, Übertragung, Krankheitsbild),  Robert Koch Institut, WHO (Antworten auf häufig gestellte Fragen), NZZ und die Zeit und im www über den Verlauf der Epidemie informiert habe. Und mit Freunden in Ouaga telefoniert haben. Die mir versicherten, alles sei trankil. And last but not least kommt mir meine langjährige Arbeit für die Aids-Hilfe Schweiz zu gute. Ich habe im mindestens eine Ahnung von Viren, von Übertragungswegen, Inkubationszeiten, von Epidemiologie. Auch wenn sich das Ebola-Virus  nicht auf die gleiche Art und Weise wie das HI-Virus überträgt, so ist es ebenfalls eines, dass nicht so einfach überträgt. Vorausgesetz natürlich man weiss um die Übertragungswege und man hat Zugang zu einfachen Hygienemitteln und einem Gesundheitssystem. Das ist bei mir, bei uns dreien, Roger, Matteo und ich, die wir hier sind, gegeben. Wir sind krankenversichert, wenn auch teuer – ausgerechnet heute, hat das „Volk“ wieder einmal seine „Reife“ mit der Ablehnung der Einheitskrankenkasse demonstriert – wie würden bei Bedarf ausgeflogen werden, ou bien? Und wer sich in Europa behandeln lassen kann, hat eine zu 50% grösser Chance geheilt zu werden, alors. Der Rest ist Hände waschen als wiederholtes Tagesritual. Und weiterhin die Medien kontaktieren. Einzig von diesen hellblauen Desinfektionsmitteln habe ich heuer drei statt ein Einziges eingepackt.  Meine Psychohygiene.
Die Regierung von Burkina Faso hat bis jetzt noch nicht wahnsinnig viele Dekrete erlassen. Bei der Ankunft im Flughafen Ouagadougou mussten alle Passagiere die Hände desinfizieren und die Körpertemperatur wurde gemessen. Das war’s dann auch schon mit der Prävention. Keine Plakate, keine Werbung kein gar nichts. Abgesagt wurde der SalonInternational de l' Artisanat Ouagadougou, SIAO, der laut hiesigen Medien einen Verlust von 85 Millionen CFA in die Kassen – eben nicht – spülen wird. Und bis heute ich nicht klar, ob die Kinder in die öffentlichen Schule dürfen, da doch etliche während der langen Sommerferien im Ausland, sicher auch in Sierra Leone, Liberia, Guinea, weilten.


Das nigerianische Fernsehen – hier gut zu empfangen – zeigt immerhin Präventionsspots, unterlegt mit rhythmischen Sound (Musikalischer Kampf gegen Ebola, Radio Bremen) und flotten Tanzschritten. Hände desinfizieren mit Chlor (!), Kranke nicht berühren und sofort zum Arzt, Tote nicht berühren, bei Krankheitsanzeichen wie Fieber, Durchfall, Blut im Stuhl, Unwohlsein sofort zum Arzt.
Doch Fieber, Durchfall, Unwohlsein ist hier an der Tagesordnung und für praktisch niemanden eine Grund nicht zur Arbeit zu gehen, falls man dann eine hat. Zudem können diese Symptome zu einer Palude, zur Malaria gehören und diese grassiert in der Regenzeit erhöht. Fragt man die Leute hier, haben sie durchaus Angst und hoffen „DIEU merci“, dass sie einfach verschont bleiben ... Denn Krankheit und Tod gehören hier zum Alltag, wie das tägliche Amen in der Kirche.
Nein Angst vor Krankheiten, Bakterien, Viren sind hier, wie auch Leichtsinn, fehl am Platz. Respekt und die nötige Vor- und Umsicht jedoch zwingend. Denn von Bakterien und Viren und unzähligen Erregern hat es hier auch ohne Ebola mehr als genug. 

Wen wundert’s? Auch in unserem Quartier Kamsoghin in Ouagadougou, leben die Menschen in scheinbarer Eintracht neben offen Wassergräben (Brutstätten für Moskitos), Bergen von Unrat, Tierexkrementen, Haushaltabfällen, Benzin und Öllachen, Feuerstellen, kaputten Batterien, Seifenlauge, Plastikmüll – alles was ein durchschnittlicher Haushalt, Autogaragen, Restaurants, Tierställe (Geissen, Schafe, Kühe, wenige Pferde) und jedwegliches Kleingewerbe so täglich entsorgen – vor der Haustüre. Fegt dann noch ein heftiges Gewitter, wie jetzt in der Regenzeit praktisch alle drei Tage, über die Stadt, verwandeln sich die Quartierstrassen in mäandernde Bäche, die allen Dreck mit sich führen. Leben mit der Kloake. Zieht die Sonne wieder auf bleibt ein stinkiger Schlamm liegen. Bis zum nächsten Gewitter. Einzig die Sonne  hat die Kraft alles auszutrocknen und buchstäblich in Staub zu verwandeln und zumindest einen Teil der Bakterien und Co. abzutöten.

Von einem halbwegs funktionierenden Abwasser- und Entsorgungssystem ist Ouagadougou noch Meilen oder Jahre, realistischer Jahrzehnte entfernt. Bis heute hat es weder die Regierung, falls sie es je ernsthaft propagiert hat, noch die Weltbank, noch UNHCR, noch die WHO, noch die alte Kolonialmacht geschafft den Menschen ein Bewusstsein und eine Verantwortlichkeit für das was VOR der Türe liegt, was der Gemeinschaft gehört,  zu schaffen. Ich spreche hier nicht von den Ärmsten und Armen, ich spreche hier von der Mittelschicht in Ouaga, zum Beispiel unser Nachbar, der als Englischprofessor am Gymnasium unterrichtet und sich genau so wenig am Dreck vor seiner Türe stösst, wie alle andern im Quartier auch.

Ich wundere mich immer wieder aufs Neue. Dabei kann längst ohne Probleme durch unser Quartier spazieren und mich einzig auf die Schönheiten in unserem Quartier konzentrieren. Selektive Wahrnehmung, nennt man das.















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