Mittwoch, 17. September 2014

Zwischen den Welten: „L’or de Yennenga“

Das erste Anklimatisierungswochenende liegt hinter mir. Es war eine Ankunft der feuchtfröhlichen Art. In jeder Hinsicht. Das Wetter schwül und drückend heiss, wie es der diesjährige zürcherische Sommer nie zustande brachte, dazu literweise Brakina, das Burkina Bier, das niemals versiegt.
Später dann der Einzug in unser – Regisseur, Gast und ich – Hauptquartier. Ein Haus, besser eine Art grosse neuarchitektonische afrikanische Gebärmutter. Will heissen Rundummauern, zwei Minigrünflächen, eine grosse Garage, eine gedeckte Terrasse, zwei Zimmer, zwei Duschen inklusive WC, eine Küche, ein Salon de Séjour. Dazu überall Ventilatoren, Klimaanlagen, gekachelte Böden, ein Samsung-TV mit ungezählten, aber bezahlten Sendern. Ohne Licht (gleissendes Neon) ist das alles in heimelig düsterem Ocker gehalten. Mit goldfarbenen Vorhängen und Brodrerie.  Die Sitzecke macht einem Drogendealer der XXL-Klasse alle Ehre. Dies kann einlullen, kann deprimieren, wie man sich so fühlt in seinem Seelenkostüm.

Stücklektüre Ouaga 2014
Keine Bange, wir fühlen uns gut, denn die Produktion ist mehr als zufriedenstellend angelaufen. Roger Nydegger, führt seit zwei Wochen Regie und die Truppe ist gut eingespielt. Gestern habe ich die ersten Proben verfolgt. Das Stück, eine Adaptation von Markus Köbelis „Holzers Peepshow“ nimmt Gestalt an. Der junge Autor Kiswindsida Thierry Hervé Oueda hat diese bitterböse Komödie, um eine Familie, die verzweifelt versucht die Zeit aufzuhalten und grandios scheitert, an westafrikanische Verhältnisse angepasst. Das Stück spielt in einem Weiler ausserhalb von Ouagdougou. Die Landbevölkerung von Bionlé schlägt sich mit seinen heiligen handzahmen Krokodilen, die jährlich ein paar hundert Touristen anziehen, wacker durchs Leben. Bis, ja bis Gold gefunden wird. Seither ist der Teufel los. Eine Schweizer Firma versuchte jede verdammte Ader anzuzapfen und schürft unermüdlich, denn Goldminen in Burkina gelten als ergiebig. Die Bevölkerung von Binonlé wird gnadenlos ausgebootet, einzig der Ouedraogo-Clan weigerte sich standhaft, den Ort seiner Ahnen zu verlassen. Zumal Bionlé auch der Name der heiligen Familienstatue ist.

Awa Sangare notre chorégraphe avec Josiane Y. Hien, dans la rôle de Yennenga
Auch eine Intervention auf höchster Ebene vermag die Widerspenstigen nicht zu zähmen. Dabei ist dies alles gar nicht nötig. Denn der Clan scheint nur vordergründig geeint. In den Tiefen der Familienstruktur eitert es gewaltig. Die Jungen wollen endlich weg aus dem Kaff, die Ehefrau emanzipiert sich süfferli von ihrem Säufermann, der Bruder überbeisst vor lauter Eifersucht. Auch der vermeintliche Geldsegen, der sich nach einer leidlich erfolgreich verlaufenen neuinitiierten Touristenattraktion – Die Familie spielt eine Familie, welche die Legende der Yennenga  zum Besten gibt – vermag den Zerfall des Clans nicht zu stoppen.

Soumaïla Zoungrana dans la rôle de Ibro et Yra Siaka dans la rôle de Sibri
Bonne arriveé in Westafrika, dass sich immer mehr der Restwelt angleicht. Zerrissen zwischen Tradition und Moderne, zwischen Coca Cola und Dafani (Fruchtsäfte aus Burkina Faso), zwischen Animismus und sektiererischen Kirchen, zwischen Wünschen und Realität, zwischen Post-, Neo-, Überhaupt-Kolonialismus, Kapitalismus, Restkommunismus und all den neuen Räuber in alten Kleidern. Zwischen fehlender Ebola-Aufklärung und Tetanus-Impfung. Zwischen Fetisch und Sacrificé. Zwischen ? und zwischen ? Die Liste ist unvollständig …

Minata Diene dans la rôle de mère Salamata et Tata.T. Bamouni,  dans la rôle de Biinta, femme de Sibri
Davon handelt „L’or de Yennenga", der Amazone, die einst das Volk der Mossi einte.
Ich bin angekommen.

Noël Minougou dans la rôle de Wu Lee, le Chinois et Soumäila



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen