Donnerstag, 27. September 2012

La fin n’est pas la fin



 Endlich, nach über einer Woche kreist ein Geierpaar am Himmel. Zieht seine eleganten Runden über dem Quartier. Was sie wohl angelockt hat? Eine Abfalldeponie, ein Kadaver, Neugier? Nehmen wir sie als gutes Omen für den Abschluss unserer Recherchewoche zu „L’Héritage“.
Einmal mehr haben wir gestaunt, mit welcher Offenheit und Spielfreude unsere „famille burkinabé“ sich auf alle unsere Vorschläge eingelassen und ausgesetzt hat. Unter Konditionen, die, notabene, hier okay, in der guten fetten Schweiz unsuportable gewesen wären. Eine schimmlige Decke – c’est evidente; ist sehr ungesund – einem ewig nassen – es pisst ja immer wieder wie aus Containern –, einem unebenen Holzboden, bedeckt mit einem phuaaa Plastikboden und Temperaturen, die bereits um in der Früh über 20 Grad liegen. Luftfeuchtigkeit inklusive.  Duschen? Sicher nicht. Aber auch mit Ausblick auf pomme de cannelle, Mangobäume, Bambus, Ginster, Fächerpalmen , hellblau leuchtenden Maisen, Schmetterlinge, Eidechsen, fliegenden Riesenkäfern, Spinnen, Würmchen und was so kreucht und fleucht unter der Sonne. Avec un monsieur très gentile et un acceuil chaleureux.

Sonja Rocha, chorégraphe; Roger Nydegger, metteur en scène 
Unter all diesen Umständen und Zuständen und Hinständen haben wir sie gefordert unsere famille. Le metteur en scène Roger, la choreographe Sonja et la dramaturge, moi même. Aufwärmen, Tanzen, Bewegungen suchen, Geschichten erzählen, Improvisieren auf Tausend und zurück, Singen, Reflektieren, Erklären, Familie(n) spielen, Sprichwörter suchen, jonglieren zwischen Morée, Dioula, Französisch, Züritütsch. Offen, professionell, rücksichtsvoll sein und letztlich Vertrauen haben in uns und unsere Arbeit.

Valerie et Joe, le père et la fille
Wie schnell entwickelte sich oftmals aus einer Improvisation heraus eine längere Diskussion. Das Thema Geld erweiterte sich rasend schnell zum Thema Hexerei und Magie. Innert Kürze verfiel die Gruppendynamik in einen Galopp und die Wörter, die Beispiele überschlugen, überholten sich. Halima, Joe und Valerie tischten eine Geschichte nach der anderen auf. Plötzlich sind geldspeiende Schlangen, verhexte Kinder, Fetische, Geister (Genié), ausgespuckte Wörter, geopferte Poulets, verkaufte Organe, Wahnsinnige, Rasende, Beschwörende mit von der Partie. Nehmen Platz, behaupten sich und verschwinden wieder.

Oder wenn Halima von ihrer Beschneidung erzählt. Gefasst, eindringlich, beängstigend, berührend. Alles was man je darüber gelesen oder gehört hat, wird manifest. Die Ungeheuerlichkeit, die Brutalität, das Verbrechen. Das Leben stockt.

Halimata, la mère 
Dazwischen immer die dreijährige Katja, in der Trotzphase und immer wieder ganz schön stressig. Wenn sie zehn Mal hintereinander, die Brüste von Halima auspackt, schnell daran nuckelt, aufhört und wieder abgeht. Wenn sie sich immer wieder  in die Impros reinschleicht - denn sie weiss, dass sie das eigentlich nicht darf - und aus vollen Leibeskräften brüllt, wenn man sie aus der Szene scheucht. 
Ja, aber haben die den die Spielregeln nicht geklärt, diese Schweizer? Hä? Bitteeeeeeeeee. Doch haben wir und eigentlich auch jeden Tag aufs Neue. Aber wie immer ist die Realität komplexer, als die simple Anforderung. Und Kinderkrippenplätze sind ja auch bei uns Mangelware ...  Und wir Weicheier hatten andere Prioritäten, haben uns alle immer wieder um Katja bemüht, deren Charme umwerfend ist.

Mhhh bon app - Senegal 
Ja, wie haben einen vollen Rucksack. Aussortiert wird später. Jetzt gehen wir zusammen essen. Punkt. Und dann ein bisschen se reposer. Schliesslich steht in drei Stunden die nächste Probe, die Wiederaufnahme von „Sevrage“ an.

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