Einmal mehr haben wir gestaunt, mit welcher Offenheit und
Spielfreude unsere „famille burkinabé“ sich auf alle unsere Vorschläge
eingelassen und ausgesetzt hat. Unter Konditionen, die, notabene, hier okay, in
der guten fetten Schweiz unsuportable gewesen wären. Eine schimmlige Decke –
c’est evidente; ist sehr ungesund – einem ewig nassen – es pisst ja immer
wieder wie aus Containern –, einem unebenen Holzboden, bedeckt mit einem phuaaa
Plastikboden und Temperaturen, die bereits um in der Früh über 20 Grad liegen.
Luftfeuchtigkeit inklusive. Duschen?
Sicher nicht. Aber auch mit Ausblick auf pomme de cannelle, Mangobäume, Bambus,
Ginster, Fächerpalmen , hellblau leuchtenden Maisen, Schmetterlinge, Eidechsen,
fliegenden Riesenkäfern, Spinnen, Würmchen und was so kreucht und fleucht unter
der Sonne. Avec un monsieur très gentile et un acceuil chaleureux.
Sonja Rocha, chorégraphe; Roger Nydegger, metteur en scène |
Unter all diesen Umständen und Zuständen und Hinständen
haben wir sie gefordert unsere famille. Le metteur en scène Roger, la
choreographe Sonja et la dramaturge, moi même. Aufwärmen, Tanzen, Bewegungen
suchen, Geschichten erzählen, Improvisieren auf Tausend und zurück, Singen,
Reflektieren, Erklären, Familie(n) spielen, Sprichwörter suchen, jonglieren
zwischen Morée, Dioula, Französisch, Züritütsch. Offen, professionell,
rücksichtsvoll sein und letztlich Vertrauen haben in uns und unsere Arbeit.
Valerie et Joe, le père et la fille |
Wie schnell entwickelte sich oftmals aus einer Improvisation
heraus eine längere Diskussion. Das Thema Geld erweiterte sich rasend schnell zum
Thema Hexerei und Magie. Innert Kürze verfiel die Gruppendynamik in einen
Galopp und die Wörter, die Beispiele überschlugen, überholten sich. Halima, Joe
und Valerie tischten eine Geschichte nach der anderen auf. Plötzlich sind
geldspeiende Schlangen, verhexte Kinder, Fetische, Geister (Genié), ausgespuckte
Wörter, geopferte Poulets, verkaufte Organe, Wahnsinnige, Rasende, Beschwörende
mit von der Partie. Nehmen Platz, behaupten sich und verschwinden wieder.
Oder wenn Halima von ihrer Beschneidung erzählt. Gefasst,
eindringlich, beängstigend, berührend. Alles was man je darüber gelesen oder
gehört hat, wird manifest. Die Ungeheuerlichkeit, die Brutalität, das
Verbrechen. Das Leben stockt.
Halimata, la mère |
Dazwischen immer die dreijährige Katja, in der Trotzphase
und immer wieder ganz schön stressig. Wenn sie zehn Mal hintereinander, die Brüste
von Halima auspackt, schnell daran nuckelt, aufhört und wieder abgeht. Wenn sie
sich immer wieder in die Impros
reinschleicht - denn sie weiss, dass sie das eigentlich nicht darf - und aus
vollen Leibeskräften brüllt, wenn man sie aus der Szene scheucht.
Ja, aber haben die den die Spielregeln nicht geklärt, diese
Schweizer? Hä? Bitteeeeeeeeee. Doch haben wir und eigentlich auch jeden Tag
aufs Neue. Aber wie immer ist die Realität komplexer, als die simple
Anforderung. Und Kinderkrippenplätze sind ja auch bei uns Mangelware ... Und wir Weicheier hatten andere Prioritäten,
haben uns alle immer wieder um Katja bemüht, deren Charme umwerfend ist.
Mhhh bon app - Senegal |
Ja, wie haben einen vollen Rucksack. Aussortiert wird
später. Jetzt gehen wir zusammen essen. Punkt. Und dann ein bisschen se
reposer. Schliesslich steht in drei Stunden die nächste Probe, die
Wiederaufnahme von „Sevrage“ an.