Samstag, 3. März 2012

Zeit und Effizienz ist relativ, quoi alors?

Manchmal ist es einfach nur zu heiss, zu staubig, zu dreckig - ici en Quaga. Vieles wird (trotz Abfallentsorgung mit Eselkaren) sur place verbrannt und entsorgt. Pneus, Batterien, Abfall, Motorenöl und hunderttausende von schwarzen Plastiksäcken. Quelle leichtgewichtiger horreur! Morgens in der Früh, mitten in der Nacht, jederzeit und überall. Es ist keine Rarität, dass sich der Himmel über Ouaga schwarz verfärbt weil irgendwo eine cochonnerie in Rauch aufgeht. Und wir Weissgesichter skeptisch Himmelwärts schauen und uns fragen, ob dieser Rauch wohl gefährlich sei (wir, die Überversicherten)?  Und weil wir sicher von keinem Bukinabé (Ausnahmen gibt es auch hier, logisch) keine schlüssige Antwort erhalten - irgendwo wird irgendwas verbrannt et alors? - stellen wir uns bereits die nächste Frage? Warum genau sind wir hier?


In der Regel Frauenarbeit

Die Antwort scheint einfach: Weil wir hier Theater machen. Stimmt! ist aber nur die halbe Wahrheit. Wir könnten ja auch in Grönland, Holland oder Schottland Theater machen, n'est pas? Wäre zweifellos auch intressant, mais ... es ist Westafrika, es ist Burkina Faso, das Land der Aufrechten. Weil hier, meint le metteur en scène Roger Nydegger meint, Theater noch etwas bewirke. Weil die Improvisationsfreude der Schauspieler  und Schauspielerinnen grossartig sei. Weil es hier möglich sei mit einer grossen Equipe zu arbeiten (das können in la Suisse noch wenige Häuser, geschweige denn freie Gruppen). Weil das Theater zum Volk und das Volk zum Theater gehöre, weil das Theater hier auch politisch sein dürfe, weil das Publikum unmittelbar reagiere, weil jede Aufführung immer auch ein Fest sei, weil mit jedem erarbeiten eines Theaterstückes Freundschaften vertieft und neue Beziehungen geschaffen würden.
Stimmt! Und ein bisschen auch, weil Zeit und Effizienz eine ganz andere Bedeutung haben. Ici en l'Afrique de l'ouest. Bei der Arbeit, im Alltag, überall. On cause un peu - halten wir ein kleines Schwätzchen, das gehört zur Alltagskultur. Sei es auf der Strasse, auf dem Markt, im Maquis (Restaurant), im Bus, auf dem Velo. Wie Marceline. siebenfache Mutter, mehrfache Grossmutter, verwitwet, pensioniert - was heisst das denn in BF? Es heisst weiterhin jeden Tag ums Überleben kämpfen - die mit mir auf den Bus Nr. 10 wartete.

Bus no. 10

Und mich nullkommaplötzlich in ein Gespräch verwickelte. Wissen wollte warum ich hier sei, was ich mache und wie es mir gefalle. Ja, kann man jetzt einwerfen, das sind doch die drei Standartfragen an Touris ... Ja, kann ich antworten: Stimmt. Aber Marceline war auch voller Zuversicht, dass der Bus kommt, auch wenn sie nicht wusste wann. Ich, personellment, hätte längst aufgegeben und im Angesicht meines Schweisses einfach ein Taxi bestellt. Der Bus kam, verspätet nach unseren Massstäben, er kam nach hiesigen Massstäben. Punkt. Vor dem Aussteigen erkundigte sie sich auch nach meiner Telefonnummer. Und NEIN, sie wollte kein Geld, als sie mich später anrief um sich zu erkundigen, ob ich mein Ziel gut erreicht hätte. Hatte ich und ihr Telefonanruf streichelte meine Seele. Punkt.  Und JA, es gibt auch welche, die immer Geld wollen. Und es sind nicht immer die Ärmsten. Es ist so: Jede Weisse, jeder Weisse muss mit seinem persönlichen, monetären NORD-SÜD-Gefälle klar kommen, täglich und immer wieder auf's Neue. Punkt. Ich wiederhole mich, ich weiss.

Marceline


Eine schöne Effizienzgeschichte ist auch diejenige unseres Szenographen Bölsterli. Unermüdlich und ameisenfleissig bemüht er sich mit seiner Equipe, die zuständig ist für das gesamte Decor (Bühnenbild) und die Accessoires, uns Theaterschaffenden einen gut zu bespielenden Raum zur Verfügung zu stellen. Im Gegensatz zur Schauspieltruppe, arbeiten er und seine Jungs tagsüber (locker über 40 Grad), damit wir abends (easy 30 Grad) proben können. Die Männer schweissen, zimmern, sägen, hämmern, schneiden, malen und so.

Braune Farbe kaufen? Non mom ami, zu teuer. Nimm Nescafe und Wasser ...

Zum Beispiel Schrauben montieren.
  • Wieviele Schrauben brauchst du?
  • Weiss nicht.
  • Eine Schachtel sollte reichen? 
  • Hmm. Möglich.
  • Gehst du Schrauben holen?
  • Oui mon ami, pas de problème 
  • (10 min später)
  • Bist du schon zurück?
  • Non, mon ami. Bin gar noch nicht gegangen.
  • Aha, warum?
  • Habe Nescafe getrunken.
  • Aha, trankil. Hättest du Zeit, jetzt zu gehen?
  • D'accord, aber ich brauche Geld. 
  • Aha.
Eine Stunde (inkl. Schrauben einkaufen) und eine Schachtel Schrauben später ...
  • Ich brauche Schrauben.
  • Aha.
  • Es hat keine Schrauben mehr.
  • D'accord. Wieviele Schrauben brauchst du noch?
  • Weiss nicht.
  • D'accord. 
  • Brauchst du Geld?
  • Oui, mon ami. 
Eine weitere Stunde (inkl. Schrauben einkaufen) später ...
  • Bist du fertig?
  • Pas encore, mon ami.
  • Warum?
  • Es hat keine Schrauben mehr.
  • Aha. (Jetzt muss le blanc einen Nescafe haben)
Pas de problèmes, mon ami.
Irgendwann ist die Arbeit erledigt und ausgeführt - alors, pas de problèmes.
Ja, sicher in der Schweiz, denken jetzt viele, könnte man so nicht arbeiten. Viel zu ineffizient. In der Schweiz kann man in der Regel auch rechnen, kalkulieren und planen. So liegt es an uns, die Arbeitsweise anzupassen. Und das ist auch richtig so. Punkt.

Hier ist Zeit nicht einfach Geld, denn heute ist heute - und morgen, morgen ist ein anderer Tag. Zeit ist hier (noch) relativ(er) - ich habe keine Ahnung, ob das mathematisch geht, ist mir aber auch egal - denn Zeit und Arbeitskräfte sind hier im Überfluss vorhanden.
Alors, on cause un peu. Aus all diesen und tausend anderen Gründen sind wir gerne hier und nirgendwo anders.

Zeit ist relativ(er) - am Schluss steht das Bühenbild












3 Kommentare:

  1. Was für ein geiler Blog Brigle! Liest sich mega spannend und unterhaltsam. Suche einen Verleger!
    Cool et bisoux!
    Pascal

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  2. Da hüpft das Blogerherz! Merci.

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  3. Hab Feuer gefangen. Wahnsinning interessant erzählt, meine Erinnerungen gekitzelt. Sollte der Nescafe ausgehen, sorge ich für Nachschub, d'accord?

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