Seit
einigen Jahren kreisen, leider, leider, weiss der Geier warum, keine Geier mehr
über Ouagadougou. Zuviel Dreck, zu wenig gutes Aas, zu wenig Verständnis für
diese prächtigen, gewitzten, intelligenten Vögel. Zu meinem Glück sichte ich
hoch oben in den Lüften über Tenkodogo ein Paar. Entspannt ziehen die beiden
ihre Runden, segeln ein paar Stockwerke tiefer, wenn sie Beute spähen um flugs
wieder in die Höhe zu steigen. Entrückt und frei.
Tenkodogo
ist die erste unserer dreizehn Stationen, die wir in den verschiedenen
Provinzen im Land der Aufrechten (Burkina Faso) anpeilen. Wir cruisen mit einem
17-plätzigen Mercedesbus der älteren Bauart durchs Land. Das Interieur, lokal
vermessen, lokal geschweisst, lokal gepolstert würde wahrscheinlich keinen
Designaward gewinnen. Doch das Teil hat Charme, und unser Fahrer Idrissa hat –
das ist bereits nach den ersten Metern klar wie eine Sternennacht in der Brousse
– das Gefährt samt und sonders perfekt im Griff. Und auch die Pneus sind für
hiesige Verhältnisse überdurchschnittlich gut im Gummi.
Wir fahren
übers Land, endlos weit, vorbei an Sorgho, Bissapstauden, uralten Baobabs.
Jungs, ganz selten auch mal ein Mädchen, hüten die grossen Rinderherden. Vorbei
an kleinen Dörfern, deren Bild sich rasant verändert. Die runden, in der alten
bewährten Bauweise gebauten Häuschen (will heissen gemauert mit lokalen, dicken
und gut isolierenden Ziegelsteinen) mit spitzen Strohdächern gekrönt werden
immer mehr durch rechteckige Häuschen aus Betonziegel samt Blechdach und je
nach Budget, einem oder zwei Blechfensterläden ersetzt. Das Viereckige ersetzt
das Runde. Die Moderne hält auch auf dem Lande Einzug. Die meisten dieser neuen
Gebäude stehen unverputzt hässlich in der Landschaft. Und ob ihre Lebensdauer
und Funktionalität diejenige der alten Bauweise übersteigt, wird sich weisen.
Doch einige werden auch sorgfältig herausgeputzt, individuell verschönert,
manchmal auch mit alten Ziegelsteinen ergänzt. So oder so verändert sich das
Landschaftsbild, zeugt von Aufbruch und Anpassung an neuen Realitäten. Voilà!
Aus Rund wird Eckig, Bilder: www.andreaslehner.com |
Und dann
ein grosses „Bonne Arrivée“ in Tenkodogo (=Altes Land, Mittelpunkt des einst
grossen Mossireiches). Hier hielt Tom Sank (Tomas Sankara) einst einen seiner
inzwischen berühmtberüchtigten Diskurse. Hier wetterte er auch gegen die
grossen Clanchefs und ihre Macht. Nahm auch sie in die Verantwortung – die diese
aus ihrer Sicht längst trugen – und verlangte, dass Mädchen und Frauen den
Männern gleichgestellt werden. Das gefiel längst nicht allen Mackern und schon
gar nicht den Autoritäten. Mädchen beschneiden lassen ja, die eigene Machtfülle
freiwillig kürzen, jamais!
Das Maison
des Jeunes et de la Culture entpuppt sich als grosser ummauerter Innenhof mit
betoniertem Bühnenboden circa 10 x 15 Meter. Da wir mit leichtem Bühnenbild
reisen – wir sind alte Tourneehasen – ist die Scenografie sap sap (rasch,
rasch) aufgebaut und die Requisiten platziert. Der Soundcheck dauert etwas
länger und bis die drei Scheinwerfer strahlen auch. Wie hoffen auf Strom ohne
Unterbruch. Längst klebt eine Traube Kinder an uns und verfolgt das Geschehen
auf Schritt und Tritt. Nassara, Nassara, Nassara! Les blancs, les blancs, les
blancs. Kicherkicher und Händeschütteln. Die Mutigen wagen es gar die weisse
Haut zu berühren. Kicherkicher. Verlegenheit.
Punkt 20
Uhr beginnt die Vorstellung unter freiem Himmel auf unbequem harten in
Schieflage stehenden Eisenstühlen. Einer der Schauspieler, der bereits auf der
Fahrt über Unwohlsein geklagt hat, verlässt mitten in einer Szene die Bühne und
erbricht sich hinter dem Tourbus. Oh jemine. Wir sind alarmiert und überlegen,
ob wie die Vorstellung abbrechen sollen. Der Arme wirkt grüner und grüner und
gar nicht gut im Strumpf. Der Regisseur spricht kurz mit ihm und signalisiert,
dass er jederzeit aussteigen kann und wir die Vorstellung abbrechen. Die Gesundheit
geht vor. Aber der will nicht.
Irgendwann
geht auch diese Vorstellung zu Ende, die Leute sind begeistert. Sie ahnen
nicht, dass diese Vorstellung eine lauwarme und eine gekürzte dazu war. Kaum
fertig, wird der gute Mann auch bereits ins Spital gefahren. Ein Malariatest
soll Gewissheit bringen. Mit viel guter Medizin versehen sinkt er kurz darauf
in einen heilsamen Schlaf. Und dann erbricht sich auch noch Augusta. Doch
diesmal ist der Grund ein viel besserer: Sie ist schwanger. Der Rest der Truppe
genehmigt sich dann noch ein Bier oder zwei, gönnt sich Frites und irgendwas
das fliegt.
Das Licht ruckelt, das Stück steht. www.andreslehner,com |
Der Morgen
bricht einmal mehr heiss und staubig an. Tobias geht es viel besser, obwohl der
Magen noch immer zwickt. Und der Malariatest ist negativ. Bienbien!
Und schon sind
wir wieder en route. Die nächste Station ist Koupéla, Centre populaire des
Loisirs. Hier kommen nur noch zwei unserer Scheinwerfer zum Einsatz, denn Strom
ist hier Mangelware. Diesmal ist die Bühne ein erhöhtes Halbrund, ein bisschen
Amphitheater halt. Die Vorstellung ist gut, der Strom hält, wenn er auch
ruckelt.
Und dann
stehen sie plötzlich vor mir. Vier junge Lehrer, die sich etwas scheu bedanken.
Bedanken dafür, dass wir in ihrer Stadt Halt machen, sie unterhalten und
gleichzeitig die Verantwortlichen im Rohstoffbusiness benennen. Und die Schweinereien
rund um den Goldabbau. Dass wir Klartext sprechen, kreativen Klartext. Die
Ausbeutung von Menschen und Umwelt anprangern. Der reiche Norden, der sein
abgekartetes Spiel mit den Mächtigen im Lande spielt. Sie bedanken sich dafür,
dass sie jetzt mit ihren Schülern und Schülerinnen, von denen etliche im
Publikum sassen, den Goldrausch und dessen Auswirkungen thematisieren können.
Sie bedanken sich viel zu oft und ich bin so berührt.
So verdammt
berührt.
PS. Noch
hat uns die Nachricht nicht erreicht, dass aktuell die Wasserversogung einer
ganzen Region in Burkina Faso am Arsch ist. Dies, weil Zyankali und Quecksilber
– gebraucht für die Goldgewinnung – in einen Fluss geleitet wurden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen