Samstag, 4. November 2017

Gut im Gummi – auf in die Provinz Tenkodogo, Koupéla, Pouytenga

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Seit einigen Jahren kreisen, leider, leider, weiss der Geier warum, keine Geier mehr über Ouagadougou. Zuviel Dreck, zu wenig gutes Aas, zu wenig Verständnis für diese prächtigen, gewitzten, intelligenten Vögel. Zu meinem Glück sichte ich hoch oben in den Lüften über Tenkodogo ein Paar. Entspannt ziehen die beiden ihre Runden, segeln ein paar Stockwerke tiefer, wenn sie Beute spähen um flugs wieder in die Höhe zu steigen. Entrückt und frei.

Tenkodogo ist die erste unserer dreizehn Stationen, die wir in den verschiedenen Provinzen im Land der Aufrechten (Burkina Faso) anpeilen. Wir cruisen mit einem 17-plätzigen Mercedesbus der älteren Bauart durchs Land. Das Interieur, lokal vermessen, lokal geschweisst, lokal gepolstert würde wahrscheinlich keinen Designaward gewinnen. Doch das Teil hat Charme, und unser Fahrer Idrissa hat ­– das ist bereits nach den ersten Metern klar wie eine Sternennacht in der Brousse – das Gefährt samt und sonders perfekt im Griff. Und auch die Pneus sind für hiesige Verhältnisse überdurchschnittlich gut im Gummi.

Wir fahren übers Land, endlos weit, vorbei an Sorgho, Bissapstauden, uralten Baobabs. Jungs, ganz selten auch mal ein Mädchen, hüten die grossen Rinderherden. Vorbei an kleinen Dörfern, deren Bild sich rasant verändert. Die runden, in der alten bewährten Bauweise gebauten Häuschen (will heissen gemauert mit lokalen, dicken und gut isolierenden Ziegelsteinen) mit spitzen Strohdächern gekrönt werden immer mehr durch rechteckige Häuschen aus Betonziegel samt Blechdach und je nach Budget, einem oder zwei Blechfensterläden ersetzt. Das Viereckige ersetzt das Runde. Die Moderne hält auch auf dem Lande Einzug. Die meisten dieser neuen Gebäude stehen unverputzt hässlich in der Landschaft. Und ob ihre Lebensdauer und Funktionalität diejenige der alten Bauweise übersteigt, wird sich weisen. Doch einige werden auch sorgfältig herausgeputzt, individuell verschönert, manchmal auch mit alten Ziegelsteinen ergänzt. So oder so verändert sich das Landschaftsbild, zeugt von Aufbruch und Anpassung an neuen Realitäten. Voilà!

Aus Rund wird Eckig, Bilder: www.andreaslehner.com
Und dann ein grosses „Bonne Arrivée“ in Tenkodogo (=Altes Land, Mittelpunkt des einst grossen Mossireiches). Hier hielt Tom Sank (Tomas Sankara) einst einen seiner inzwischen berühmtberüchtigten Diskurse. Hier wetterte er auch gegen die grossen Clanchefs und ihre Macht. Nahm auch sie in die Verantwortung – die diese aus ihrer Sicht längst trugen – und verlangte, dass Mädchen und Frauen den Männern gleichgestellt werden. Das gefiel längst nicht allen Mackern und schon gar nicht den Autoritäten. Mädchen beschneiden lassen ja, die eigene Machtfülle freiwillig kürzen, jamais!

Das Maison des Jeunes et de la Culture entpuppt sich als grosser ummauerter Innenhof mit betoniertem Bühnenboden circa 10 x 15 Meter. Da wir mit leichtem Bühnenbild reisen – wir sind alte Tourneehasen – ist die Scenografie sap sap (rasch, rasch) aufgebaut und die Requisiten platziert. Der Soundcheck dauert etwas länger und bis die drei Scheinwerfer strahlen auch. Wie hoffen auf Strom ohne Unterbruch. Längst klebt eine Traube Kinder an uns und verfolgt das Geschehen auf Schritt und Tritt. Nassara, Nassara, Nassara! Les blancs, les blancs, les blancs. Kicherkicher und Händeschütteln. Die Mutigen wagen es gar die weisse Haut zu berühren. Kicherkicher. Verlegenheit.

Punkt 20 Uhr beginnt die Vorstellung unter freiem Himmel auf unbequem harten in Schieflage stehenden Eisenstühlen. Einer der Schauspieler, der bereits auf der Fahrt über Unwohlsein geklagt hat, verlässt mitten in einer Szene die Bühne und erbricht sich hinter dem Tourbus. Oh jemine. Wir sind alarmiert und überlegen, ob wie die Vorstellung abbrechen sollen. Der Arme wirkt grüner und grüner und gar nicht gut im Strumpf. Der Regisseur spricht kurz mit ihm und signalisiert, dass er jederzeit aussteigen kann und wir die Vorstellung abbrechen. Die Gesundheit geht vor. Aber der will nicht.
Irgendwann geht auch diese Vorstellung zu Ende, die Leute sind begeistert. Sie ahnen nicht, dass diese Vorstellung eine lauwarme und eine gekürzte dazu war. Kaum fertig, wird der gute Mann auch bereits ins Spital gefahren. Ein Malariatest soll Gewissheit bringen. Mit viel guter Medizin versehen sinkt er kurz darauf in einen heilsamen Schlaf. Und dann erbricht sich auch noch Augusta. Doch diesmal ist der Grund ein viel besserer: Sie ist schwanger. Der Rest der Truppe genehmigt sich dann noch ein Bier oder zwei, gönnt sich Frites und irgendwas das fliegt. 

Das Licht ruckelt, das Stück steht. www.andreslehner,com

Der Morgen bricht einmal mehr heiss und staubig an. Tobias geht es viel besser, obwohl der Magen noch immer zwickt. Und der Malariatest ist negativ. Bienbien!

Und schon sind wir wieder en route. Die nächste Station ist Koupéla, Centre populaire des Loisirs. Hier kommen nur noch zwei unserer Scheinwerfer zum Einsatz, denn Strom ist hier Mangelware. Diesmal ist die Bühne ein erhöhtes Halbrund, ein bisschen Amphitheater halt. Die Vorstellung ist gut, der Strom hält, wenn er auch ruckelt.

Und dann stehen sie plötzlich vor mir. Vier junge Lehrer, die sich etwas scheu bedanken. Bedanken dafür, dass wir in ihrer Stadt Halt machen, sie unterhalten und gleichzeitig die Verantwortlichen im Rohstoffbusiness benennen. Und die Schweinereien rund um den Goldabbau. Dass wir Klartext sprechen, kreativen Klartext. Die Ausbeutung von Menschen und Umwelt anprangern. Der reiche Norden, der sein abgekartetes Spiel mit den Mächtigen im Lande spielt. Sie bedanken sich dafür, dass sie jetzt mit ihren Schülern und Schülerinnen, von denen etliche im Publikum sassen, den Goldrausch und dessen Auswirkungen thematisieren können. Sie bedanken sich viel zu oft und ich bin so berührt.
So verdammt berührt.

PS. Noch hat uns die Nachricht nicht erreicht, dass aktuell die Wasserversogung einer ganzen Region in Burkina Faso am Arsch ist. Dies, weil Zyankali und Quecksilber – gebraucht für die Goldgewinnung – in einen Fluss geleitet wurden.










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