Also, aus
der Stadt kommt man tagsüber nicht so schnell raus. Weil sie gross ist und weil
sie immer irgendwo an Verstopfung leidet. Zu viele Autos, zu viele Schnäpper,
zu viele Motorräder, zu viele Velos, zu viele Baustellen, zu viele Unfälle.
Dazwischen Fussgänger und Fussgängerinnen, Schulkinder, Strässenhändler und Strassenhändlerinnen, Handkarren,
Eselskarren, selten auch Kühe, Geissen, Hunde und so weiter im Text.
Nach rund
90 Minuten Fahrt über Stock und über Schlaglöcher, zwei passierten Polizeistellen
kommen wir in Saboné an. Wir halten am Dorfeingang und warten auf den
Veranstalter. Der kommt irgendwann und zu unserem Erstaunen spielen wir auch
nicht im Dorf, sondern eingangs Dorf, direkt neben der Strasse, da wo wir schon
stehen. Keine Bühne, rund zwanzig Stühle, ein Maquis (Resto) und so wenig
Strom, dass wir uns zwischen Ton oder Licht entscheiden müssen. Müssen wir aber
vorläufig noch nicht, spielen wir doch um 16 Uhr, noch im Tageslicht. Ton her,
alors. Tobias, der übrigens wieder ganz der alte, will heissen gesund und jung
ist, richtet sich mit seinem Mischpult ein. Issa baut mit Idrissa das
Bühnenbild auf, Madeleine wärmt sich zum Gaudi der Kids mit Tanzen auf, Halima
braucht ein Bier und betet noch ein wenig. Halima ist aktuell, zu unserem
Erstaunen, in einer sehrsehr religiösen Phase; das war im Mai in Zürich noch
nicht so. Doch jetzt betet sie, wann immer sie kann. Liest aus einem Heft, das
jedem halbwegs aufgeklärten Erdenbewohner die Zornesröte ins Gesicht knallt.
Ich spotte nicht über Halimata, denn ich weiss, dass sie eine schwierige
Situation zu Hause hat, aber es ist zum Haare raufen mit diesen Kirchen, die
Erlösung versprechen, Duldung verlangen und mit ewiger Verdammnis drohen. Monique und
Christoph richten Requisiten, Andi schiesst wunderschöne Bilder, Roger und
Adama machen ein Büro auf, Urbain übersetzt die Zwischentexte auf Mooré. Dazwischen
wieselt Siaka, Ladji installiert und dehnt sich und irgendwann trinken wir alle
Bier.
Immer mehr
Kids tauchen auf, Frauen und Männer kommen vom naheliegenden regionalen Markt.
Viele Männer sind angesäuselt, haben sie doch, es ist Sonntag, etliche
Deziliter Dolo (selbstgebrautes Starkbier) intus.
Die
Vorstellung beginnt dann um 16.45 vorher wäre das Publikum noch zu sehr unter
der gleissenden Sonne gestanden. Erfolglos haben wir versucht, den
Restobetreiber davon zu überzeugen, dass es nett (???), besser (???),
rücksichtsvoller (???) wäre, wenn er die dröhnende Musikbox abstellen oder etwas
zurückschrauben würde. Auch stromtechnisch gesehen. Doch Business ist Business
meint er, oder wir kauften seinen Grill leer, dann könnten wir verhandeln. Aber
wir brauchen jetzt keine gegrillten Hühnerfüsse, wir wollen spielen. Und einen
Kurzschluss können wir leider nicht inszenieren, denn dann hätten auch
wir keinen Strom mehr. Es hängt eben immer alles mit allem zusammen.
Wir haben ja
eine stimmgewaltige Schauspielertruppe! Die spricht gegen Wind und Staub und
Bumbummbumm an. Und wie. Rund zweihundert Dorfbewohner schauen gebannt auf das Treiben,
das ihnen da geboten wird. Auch die Kids sind zugewandt, konzentriert, Theater
ist nicht alle Tage. Eine kleine Unruhe entsteht, als ein Besoffener glaubt er
könne unser Madeleine mal so auf die Schnelle mitten im Stück anbaggern.
Unsanft und bestimmt wird er von ein paar Männern gesenkelt. Voilà!
Einer der
schönsten Momente im Stück ist immer wieder, wenn die Truppe Mani Matters:
Dene wos guet geit
giengs besser
giengs dene besser
wos weniger guet geit
was aber nid geit
ohni dass's dene
weniger guet geit
wos guet geit
drum geit weni
für dass es dene
besser geit
wos weniger guet geit
und drum geits o
dene nid besser
wos guet geit
anstimmt.
Diese zeitlose Ballade, gescheit und poetisch geschrieben über die
Ungerechtigkeit zwischen Reich und Arm, zwischen Nord und Süd, zwischen Oben
und Unten. In diesem Lied steckt die Quintessenz unseres Stückes. Es passt
perfekt zur Ausbeutung des afrikanischen Kontinents durch global agierende multinationale
Konzerne. Perfekt zur Gleichgültigkeit und Arroganz einer weissen Elite (die „Paradise
Papers“ grüssen) gegenüber seiner kolonialen Verantwortung und Handelspartnern.
Wenn der reiche Norden, und damit auch jeder einzelne von uns, nicht bereit ist
abzugeben, zu teilen, werden wir nie eine halbwegs gerechtere Welt haben. Wenn
dann Urbain den Refrain des Liedes auf Mooré übersetzt, Matters Geist aufblitzt,
die Menschen lauschen, sofort verstehen und einzelne klatschen, sind unsere
Zweifel, über Sinn und Unsinn von Projekten, wie dem unseren, Makulatur.
Theater wirkt. Nicht immer, aber immer wieder.
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