Mittwoch, 8. November 2017

Dene wos guet geit, giengs besser, giengs dene besser ... MM reist mit



Vorstellung in Saponé circa 23 Kilometer ausserhalb von Ouagadougou gelegen. Ein Allez-Retour-vite-vite könnte man sich denken, aaaaber wer so denkt, verkennt die Grösse von Ouaga. Die Stadt hat eine Ausdehnung, die passt auf keine Büffel- auch nicht auf eine Elefantenhaut. Flächenmässig ist die Stadt RIESIG. Auch wenn, gemäss der letzten Volkszählung irgendwann vor grauer Zeit, nur zwei Millionen Menschen Ouagalais sind. Ich zweifle an dieser Zahl, kommen doch täglich Menschen mit Sack und Pack aus allen Regionen in Ouaga an. Sie siedeln an den Rändern und arbeiten sich je nach Glück, Ausdauer, Budget, Geschlecht, Status schneller, oder auch gar nie, in die Stadtmitte oder in ein halbwegs gut erschlossenes Quartier vor. Die Regierung versucht halbherzig immer wieder diese Menschen zu legalisieren, versucht halbherzig den Zuzügern Strom, Wasser plus ein kleines Grundstück zur Verfügung zu stellen. Doch alles hinkt immer Jahre hinterher. Sisyphus lässt grüssen.

Also, aus der Stadt kommt man tagsüber nicht so schnell raus. Weil sie gross ist und weil sie immer irgendwo an Verstopfung leidet. Zu viele Autos, zu viele Schnäpper, zu viele Motorräder, zu viele Velos, zu viele Baustellen, zu viele Unfälle. Dazwischen Fussgänger und Fussgängerinnen, Schulkinder, Strässenhändler und Strassenhändlerinnen, Handkarren, Eselskarren, selten auch Kühe, Geissen, Hunde und so weiter im Text.

Nach rund 90 Minuten Fahrt über Stock und über Schlaglöcher, zwei passierten Polizeistellen kommen wir in Saboné an. Wir halten am Dorfeingang und warten auf den Veranstalter. Der kommt irgendwann und zu unserem Erstaunen spielen wir auch nicht im Dorf, sondern eingangs Dorf, direkt neben der Strasse, da wo wir schon stehen. Keine Bühne, rund zwanzig Stühle, ein Maquis (Resto) und so wenig Strom, dass wir uns zwischen Ton oder Licht entscheiden müssen. Müssen wir aber vorläufig noch nicht, spielen wir doch um 16 Uhr, noch im Tageslicht. Ton her, alors. Tobias, der übrigens wieder ganz der alte, will heissen gesund und jung ist, richtet sich mit seinem Mischpult ein. Issa baut mit Idrissa das Bühnenbild auf, Madeleine wärmt sich zum Gaudi der Kids mit Tanzen auf, Halima braucht ein Bier und betet noch ein wenig. Halima ist aktuell, zu unserem Erstaunen, in einer sehrsehr religiösen Phase; das war im Mai in Zürich noch nicht so. Doch jetzt betet sie, wann immer sie kann. Liest aus einem Heft, das jedem halbwegs aufgeklärten Erdenbewohner die Zornesröte ins Gesicht knallt. Ich spotte nicht über Halimata, denn ich weiss, dass sie eine schwierige Situation zu Hause hat, aber es ist zum Haare raufen mit diesen Kirchen, die Erlösung versprechen, Duldung verlangen und mit ewiger Verdammnis drohen. Monique und Christoph richten Requisiten, Andi schiesst wunderschöne Bilder, Roger und Adama machen ein Büro auf, Urbain übersetzt die Zwischentexte auf Mooré. Dazwischen wieselt Siaka, Ladji installiert und dehnt sich und irgendwann trinken wir alle Bier.  

Immer mehr Kids tauchen auf, Frauen und Männer kommen vom naheliegenden regionalen Markt. Viele Männer sind angesäuselt, haben sie doch, es ist Sonntag, etliche Deziliter Dolo (selbstgebrautes Starkbier) intus.

Die Vorstellung beginnt dann um 16.45 vorher wäre das Publikum noch zu sehr unter der gleissenden Sonne gestanden. Erfolglos haben wir versucht, den Restobetreiber davon zu überzeugen, dass es nett (???), besser (???), rücksichtsvoller (???) wäre, wenn er die dröhnende Musikbox abstellen oder etwas zurückschrauben würde. Auch stromtechnisch gesehen. Doch Business ist Business meint er, oder wir kauften seinen Grill leer, dann könnten wir verhandeln. Aber wir brauchen jetzt keine gegrillten Hühnerfüsse, wir wollen spielen. Und einen Kurzschluss können wir leider nicht inszenieren, denn dann hätten auch wir keinen Strom mehr. Es hängt eben immer alles mit allem zusammen.

Wir haben ja eine stimmgewaltige Schauspielertruppe! Die spricht gegen Wind und Staub und Bumbummbumm an. Und wie. Rund zweihundert Dorfbewohner schauen gebannt auf das Treiben, das ihnen da geboten wird. Auch die Kids sind zugewandt, konzentriert, Theater ist nicht alle Tage. Eine kleine Unruhe entsteht, als ein Besoffener glaubt er könne unser Madeleine mal so auf die Schnelle mitten im Stück anbaggern. Unsanft und bestimmt wird er von ein paar Männern gesenkelt. Voilà!

Einer der schönsten Momente im Stück ist immer wieder, wenn die Truppe Mani Matters: 

Dene wos guet geit
giengs besser
giengs dene besser
wos weniger guet geit
was aber nid geit
ohni dass's dene
weniger guet geit
wos guet geit
drum geit weni
für dass es dene
besser geit
wos weniger guet geit
und drum geits o
dene nid besser
wos guet geit

anstimmt. Diese zeitlose Ballade, gescheit und poetisch geschrieben über die Ungerechtigkeit zwischen Reich und Arm, zwischen Nord und Süd, zwischen Oben und Unten. In diesem Lied steckt die Quintessenz unseres Stückes. Es passt perfekt zur Ausbeutung des afrikanischen Kontinents durch global agierende multinationale Konzerne. Perfekt zur Gleichgültigkeit und Arroganz einer weissen Elite (die „Paradise Papers“ grüssen) gegenüber seiner kolonialen Verantwortung und Handelspartnern. Wenn der reiche Norden, und damit auch jeder einzelne von uns, nicht bereit ist abzugeben, zu teilen, werden wir nie eine halbwegs gerechtere Welt haben. Wenn dann Urbain den Refrain des Liedes auf Mooré übersetzt, Matters Geist aufblitzt, die Menschen lauschen, sofort verstehen und einzelne klatschen, sind unsere Zweifel, über Sinn und Unsinn von Projekten, wie dem unseren, Makulatur. Theater wirkt. Nicht immer, aber immer wieder.








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