Der Herr Harmattan, der heisskalte Wüstenwind, nimmt langsam aber sicher Fahrt auf. Mit jeden Tag mehr baut er seine riesigen Staubkathedralen um sie sofort wieder zu verwandeln. Gewaltigen Vogelschwärmen gleich verändert Herr Harmattan unablässig seine Gestalt, er ist alles was gross, weit und gewaltig ist. Speiend, blasend, stürmt, flüstert, säuselt, fegt er übers Land. Nimmt immer mehr Staub aus der grossen Frau Sahara auf, wirbelt und peitscht kalte und dann wieder süttigheisse Böen über den Sahel und in die Stadt. La poussière ist überall. Man kann ihm nicht entkommen. Türen klappern, Vorhänge tanzen, Moskitonetze färben sich terracotta. Wer jetzt seine Nasenschleimhäute nicht pflegt, die Haut nicht eincremt, Beurre de Karité heisst die Zaubermedizin, wird innert kürzester Zeit austrocknen und einem Schmirgelpapier ähneln. Wer nicht krank werden will, flirtet nicht mit Mösiö Harmattan. Nein, nein, nein.
Die Harmattan-Grippe, ich nenne sie so, ist von den Symptomen her nicht so einfach von einem Malariaanfall zu unterscheiden. Gliederschmerzen, laufende Nasen, Fieber, Mattheit, Kopfweh. Nur ein Test bringt Gewissheit. Bereits sind zwei unserer Burkinabè Schauspieler erkrankt. Zum Glück nicht an Malaria. Ruhe und viel Hausmedizin haben die nötige Linderung gebracht, so dass beide abends wieder auf der Bühne standen.
Wir europäischen Langnasen kämpfen eher mit Durchfall – Wahnsinn
in was für eine Kompostanlage sich so ein Verdauungstrakt wandeln kann – Bauchgrimmen und brummenden Köpfen. Doch en gros sind wir gesund und – das ist ein Vorteil des Herrn Harmattan, der nebst Staub und Farbe auch die Nächte kühlt – viel besser ausgeruht als auch schon. Mit über 30 Grad im Zimmer lässt es sich auch mit dem besten Gin Tonic nicht so Allez Hopp ins Traumreich hinübergleiten. Nein, nein, nein.
Die letzten Vorstellungen waren alle gut, eine davon sogar sehr gut. Doch was macht aus einer guten Vorstellung eine sehr gute? Vieles und man kann es, allen Theatergöttern sei’s gedankt, nicht programmieren. Sehr gut ist ... Wenn bereits in den ersten paar Minuten klar wird, dass zwischen dem Publikum und den Schauspielern eine intensive Beziehung am Entstehen ist, trotz der unterschiedlichsten Persönlichkeiten, die da aufeinandertreffen. Wenn der berühmte Musenkuss springt, die unsichtbare Wand zwischen Bühne und Saal verschwindet, wenn die Kreation alles durchdringt und in einem Fluss mäandert, wenn Grenzen aufgehoben und Unterschiede nichtig werden, wenn eine Komplizenschaft entsteht, an der alle beteiligt sind. Vor, hinter, unter, neben und auf der Bühne. Wenn diese eigentlich archaische Ausdrucksform, die unheimliche Magie, die einem Theaterstück innewohnen kann, sich, einem grossen Tuch gleich, entfaltet. Wenn der erste Gedanke zu einem neuen Theaterstück, der irgendwann, irgendwo in irgendeiner Ecke dieser Welt, einem Gehirn entsprungen ist, wenn dieser erste Sinn sich durch Milliarden von Synapsen hindurchgewunden, aufgenommen und weitergesponnen, sich in einem anderen Hirn wieder verfestigt, transzendiert, dann entsteht heiliger Bimbam, Theater eben.
Um das zu Erleben bist du, Publikum, gefragt. Immer und immer wieder aufs Neue. On y va au théâtre!
PS1: Eine gute Vorstellung muss nicht zwangsläufig diejenige sein in der am meisten gelacht wurde oder in der alles in wichtiger Ernsthaftigkeit versank.
PS2: In der Sache Urheberrechte und Kulturaustausch per Advokat, Avocados wären uns lieber, aber es ist keine Saison, leider, sind wir nicht viel weitergekommen. Der Regisseur hat ein Papier unterzeichnen müssen, welches belegt, dass wir in Kenntnis gesetzt worden sind, dass wir wiederum blablabla, gagaga. Natürlich haben wir uns zwischenzeitlich auch mit einem Advokaten an einen Tisch gesetzt und uns über unsere Rechte informiert. Und ach, wer hätte es gedacht, es ist kompliziert. Und nicht alle sind der gleichen Meinung. Soso. Mhmm.
Doch so über den Daumen gepeilt kann man folgendes festhalten: Der Autor wird mit seiner Klage keinen Erfolg haben (er hat einen Auftrag erhalten, dieser wurde abgegolten (Geld und Vertrag) und wir besitzen nun die Rechte an dem Stück. Punkt), aber und jetzt kommt das Interessante: Er hat das Recht (stammt noch aus der Regierungszeit von Thomas Sankara, der die Künstler besser schützen und stärken wollte, was wir logo auch unterstützen) mitten in eine Vorstellung zu platzen und das Stück zu unterbrechen und die Fortsetzung zu stoppen. Soll, unbestätigten Quellen, noch nie vorgekommen sein, aber, jetzt kommt nochmals was Interessantes, dieser Autor soll ebendies bereits bei einer anderen Produktion angedroht, dann aber doch nicht durchgeführt haben. Ja, ja, ja.
So haben wir jetzt die letzten drei Vorstellungen, so heimlich darauf gewartet, ob oder ob nicht ... Und was wäre gewesen, wenn... denn jede Art von Promotion ist
Promotion ... Wir
werden es nie erfahren, vermute ich. Ab Montag geht’s auf Tourneeeeee, héééé, hééééé. Längst haben wir uns an den Ausnahmezustand gewöhnt, der Stadtsog reisst uns täglich mit und für Machtkampfe bleibt keine Zeit übrig.